3 Konflikte lernen, erkennen und analysieren

3.9 Typisches Schulkonfliktpotential









Wir haben es im Verlauf dieses Lernprogramms schon auf verschiedenen Ebenen wahrgenommen: Konfliktfreie Räume gibt es nicht!

Überall dort, wo Menschen zusammenkommen und zusammenleben - in Familien, am Arbeitsplatz, in Partnerschaften oder auch im Sportverein - überall sind Konflikte angelegt, die von einfachen Meinungsverschiedenheiten bis zum Mobbing oder offener Gewalt reichen können.
Wir haben gleichzeitig gelernt, dass Konflikte nicht von vornherein schlecht sind, dass es aber notwendig ist, ihre Ursachen und Verlaufsformen zu erkennen, um zu einer konstruktiven Lösung zu gelangen.
Gerade die Schule bietet immer wieder und - wie zahlreiche Untersuchungen belegen - in zunehmendem Maße Konfliktpotential.

In diesem Teil versuchen wir, dieses zu beschreiben, in seinen Gründen zu
erkennen und auch Möglichkeiten aufzuzeigen und vorzuführen, wie solche
Konflikte gelöst werden können.

Wo liegt nun das Konfliktpotential der Schule?

Natürlich ist das eine sehr schwierige Frage, da die Konflikte innerhalb des Beziehungs- und Interaktionsgeflechts Schule oft sehr komplex sind.

Hierzu können Sie ein Unterrichtsbeispiel aus einem Sprachbuch für das siebte Schuljahr aufrufen, wo über die vier Seiten einer Nachricht aus der Wahrnehmung des Empfängers gearbeitet wird.
Konflikte, wie sie in diesem Sprachbuch beschrieben werden, kennen wahrscheinlich alle, die jemals Schüler/in gewesen sind und/oder in anderer Funktion mit dem System Schule zu tun hatten.

Um Schulkonfliktpotentiale erkennen zu können, müssen wir auf einige der Erkenntnisse zur Kommunikation und zum Konflikt zurückkommen, die wir in den vorangehenden Teilen des Programms dargestellt haben. Wenn Sie wollen, können Sie leicht jederzeit über das Anklicken des Titels zu diesen Teilen zurückkehren und dort ausführlicher nachlesen.

Einige dieser Punkte nun in aller Kürze:

  • Kommunikationssituationen sind jeweils von der Position der Kommunikationspartner/innen bestimmt; sie können eher symmetrisch, asymmetrisch oder auch komplementär sein.

    (Eine ausführliche Bearbeitung über die Position der Gesprächspartner/innen finden Sie im Teil 1 des Programms unter "Die fünf gesprächstherapeutischen Axiome" und "Das ICH in Transaktion")

  • Kommunikation hat, wir wissen es, immer einen Sach- und einen Beziehungsaspekt. Diese einfache Feststellungen hat spezielle Konsequenzen für diesen Teilaspekt.

    (Vertiefung zu diesem Aspekt im ersten Teil des Programms unter " Die fünf gesprächstherapeutischen Axiome" und "Die vier Seiten einer Nachricht)

  • Bestimmte vorherrschende Kommunikationsstile spielen eine Rolle, also etwa: Wie konstruktiv gehen die Partner/innen miteinander um, herrscht auf Seiten der Lehrer/innen ein eher kooperativer oder eher autoritärer Erziehungsstil vor, ist bei den Schüler/innen grundsätzlich eine Lernbereitschaft vorhanden oder hat sich in der Klasse eine Atmosphäre herausgebildet, die eher von einer direkten oder indirekten Widerstandshaltung geprägt ist.

    (Vertiefung unter "Kommunikationsstile oder wie rede ich mit dem anderen")

  • Wir haben zwischen "inneren" und "äußeren" Konflikten unterschieden. In den meisten Fällen finden wir natürlich beides verzahnt, so dass eine Trennung der Konfliktart schwierig ist.

    (Vertiefung in diesem Kapitel unter "Konflikttypen")


  • Konflikte entwickeln sich innerhalb eines "Systems", das wir bei der Analyse zunächst als mehr oder weniger abgeschlossenes betrachten können. Wir tun also bei der Analyse etwa so, als ob der Konflikt innerhalb einer Schulklasse nur einer zwischen den unmittelbar Beteiligten sei. Analytisch kann dies angebracht sein, aber wir sind uns darüber klar, dass in Wirklichkeit auch zahlreiche andere, " äußere" Komponenten einwirken, das, was man als "Rahmenbedingungen" bezeichnet.

    (siehe 1.Teil des Programms unter "Es geht immer nach dem Kommunikationsmodell")

 

Nun wollen wir Ihnen zusammenfassend einige der Bereiche zeigen, in denen sich vor allem das Schulkonfliktpotential befindet. Wir unterscheiden hier verschiedene Konfliktebenen.

1. Die Rahmenbedingungen

Jeder, der an schulischen Prozessen beteiligt ist, weiß, dass nicht allein Lehrer/innen, Schüler/innen, Schulleitung oder Eltern bestimmen, was konkret im Unterricht oder auf der Schulebene passiert, sondern auch - und nicht in geringem Maß - von außen gesetzte Faktoren:

  • Gesetze
  • Rundbriefe und Erlasse der Ministerien und Schulbehörden,
  • die gute oder mangelhafte Finanzierung,
  • das verwendete Unterrichtsmaterial,
  • die bauliche Ausstattung der Schule,
  • die Lehrpläne und Prüfungsanforderungen,
  • die Ausbildung und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer an Universitäten, Hochschulen und Studienseminaren.


Eine schlechte Ausstattung führt zur Einschränkung der Möglichkeiten pädagogischen Handelns. Die oft einseitig auf bloße kognitive Leistungen hin ausgerichteten Lehrpläne schränken die kreativen Möglichkeiten von Schülern/innen und Lehrern/innen ein. Durch die Kürzungen der staatlichen Geldmittel gibt es übergroße Klassen.

Auf diese und andere Gegebenheiten haben die unmittelbar Beteiligten keinen oder doch nur einen sehr begrenzten Einfluss. Es ist aber klar, dass diese Faktoren schnell vielfältige Konflikte auslösen können. Alles das bringt letztlich Frustrationen und Unzufriedenheit hervor, und die wiederum schaffen Konflikte. Häufig werden diese Konflikte auch verlagert: Nicht oder nicht vorrangig mit der Behörde werden sie ausgetragen, sondern auf der Ebene des Klassenverbandes oder der Schule.

Fühlen sich etwa Schüler/innen und Lehrer/innen durch sehr hohe Klassenfrequenzen, durch schlechte Unterrichtsmaterialien oder mangelnde Ausstattung in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, so neigen sie häufig dazu, interne Konflikte zu entwickeln, die sich schnell ausweiten und eskalieren können.

Zu den "Rahmenbedingungen" gehören natürlich auch veränderte Sozialisationsbedingungen: Die traditionelle "Kernfamilie" ist heute oft nicht mehr vorhanden, die Familienstrukturen haben sich insgesamt rapide verändert.

Auch spielen massenmediale Instanzen in der Entwicklung der Kinder eine immer größere Rolle: der Fernsehkonsum, der Computer, das Internet. Wie geht man mit diesen "heimlichen Erziehern" um, sieht man sie hauptsächlich negativ und als Störfaktor oder nimmt man auch Potentiale wahr, mit denen man auch in schulischen Prozessen produktiv arbeiten kann?

In jedem Falle:

Aus allen diesen Umwelteinflüssen können sich Konflikte entwickeln, deren eigentliche Ursache oft im Dunkeln bleibt und die dann auch nicht mehr produktiv angegangen werden können.

Alle neueren pädagogischen und didaktischen Konzeptionen betonen die Notwendigkeit eines kooperativen, auf die Selbsttätigkeit und Selbstverantwortung der Schüler/innen gerichteten Unterrichtsstils. Häufig ist dies aber - wie wir etwa an der Kritik von Klippert feststellen konnten - Theorie. Das heißt, letztlich bleibt das Verhältnis von Lehrern/innen und Schülern/innen von einer autoritären, wenig kooperativen Haltung des Lehrkräfte bestimmt.
Keineswegs muss dies Ausdruck von schlechtem Willen sein: Hier spielen wiederum die Rahmenbedingungen eine Rolle, etwa die Überlastung der Lehrer/innen durch eine zu hohe Schüler/innen- und Stundenzahl oder die starke Beanspruchung durch Verwaltungs-aufgaben, aber möglicherweise auch eine zu einseitige Ausbildung.

Supervisionen, Fortbildungskurse und die eigene Initiative könnten hier sicher helfen, neue, kreative Methoden anzuwenden, um den Unterricht weniger langweilig und lehrerzentriert zu gestalten. So könnten z.B. Projekttage und ähnliches durchgeführt werden, um eine funktionsfähige Symmetrie herzustellen.
Andererseits: In gewisser Weise ist diese Asymmetrie zwischen Schüler/innen und Lehrkräften auch eine der Voraussetzungen und Bedingungen des öffentlichen Schulsystems. Denn: Natürlich sind Schüler/innen und Lehrer/innen nicht nur sozusagen gleichberechtigte Partner/innen innerhalb des Erziehungsprozesses, sie haben jeweils eine andersartige Rolle, die durch die Funktionen innerhalb des Systems determiniert wird.



2. Konflikte zwischen den Geschlechtern und verschiedenen ethnischen Gruppen:
das Problem der Differenz

Nicht zuletzt gehört schwierige zwischengeschlechtliche und interkulturelle Kommunikation zum typischen Schulkonfliktpotential:
Jungen und Mädchen bilden - besonders während der Pubertät - gegnerische Gruppen, die mit den ihnen eigenen Gruppen versuchen, die anderen auszustechen. Oder es entwickeln sich aus Verliebtheit und geschlechtsspezifischen Äußerungsformen Konflikte und Konkurrenzverhältnisse.

 


Für die heutige Situation vielleicht noch gravierender sind die Interkulturellen Problemlagen das, was in den letzten Jahren unter dem Schlagwort ‚Multikulti' heiß diskutiert wird:

  • Welches Verhältnis entwickelt sich zwischen Angehörigen verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen?
  • Wie sind die Phänomene der Ablehnung von Fremdgruppen, überhaupt der Fremdenfeindlichkeit zu lösen?

Sicher ist eine Separation der verschiedenen Gruppen nicht die Lösung, vielmehr die Kooperation und Integration. Aber besonders an den sozialen Brennpunkten, in Großstädten mit einem hohen Ausländeranteil, sind die Probleme virulent, und fast jeden Tag lesen wir in der Zeitung von Übergriffen und Akten der Gewalttätigkeit - auch in der Schule.

Soziale Problemfeldern sind ein weiterer Herd für gravierende Konflikte: Familiäre Schwierigkeiten, Scheidungen, finanzielle Probleme, Arbeitslosigkeit - all das strahlt in die Schule und führt zu Konflikten. Lehrer/innen fühlen sich hierdurch häufig überfordert. Zusätzlich zu ihren mannigfachen Unterrichtsaufgaben sollen sie nun auch noch Probleme lösen, für die sie nicht ausgebildet sind und die - wie viele glauben - auch nicht in ihren Aufgabenbereich fallen.
Auch hier aber hilft das Ausblenden nicht: Die Konflikte werden sich zeigen, und sie müssen angegangen werden, soll ein möglichst konfliktarmes Lernen und Lehren möglich werden.


3. Das Problem der Asymmetrie und daraus folgende "Teufelskreise"

Schüler/innen sollen etwas (und zwar möglichst viel) lernen, das bedeutet Anstrengung und ist nicht immer nur lustvoll. Die Lehrer/innen müssen darauf achten , dass Unterrichtsziele erreicht werden, dass ein bestimmter Stoff vermittelt wird, dass Prüfungsanforderungen zu schaffen sind, dass eine gewisse Disziplin herrscht etc.

Von Gesetzes wegen, aber auch durch ihre pädagogische Aufgabenstellung, sind die Lehrkräfte gehalten, Bewertungen vorzunehmen, die wiederum natürlich Auswirkungen auf das Leben (und die Zukunft) der Schüler/innen haben. Es herrscht also ein, mehr oder minder starker, Leistungsdruck, der wiederum ein beträchtliches Konfliktpotential darstellt:
Er kann die Atmosphäre innerhalb der Klasse negativ beeinflussen, Widerstand der Schüler/innen hervorrufen, individuell zu Krisen und Selbstzweifeln führen.

Und im Extremfall kann dies in einem Teufelskreis bis zur Blockade führen:
Was die Lehrer/innen sagen, kommt nicht mehr an, die Lernergebnisse sind gering, die Disziplinschwierigkeiten nehmen ein beängstigendes Ausmaß an, die Fehlzeiten der Schüler/innen erhöhen sich, die Lehrer/innen entwickeln einen Widerstand gegen ihren Beruf, das gefürchtete Burn-out-Syndrom lähmt die Freude am Beruf und führt in die Krankheit oder vorzeitigen Pensionierung.


4. Mangelnde Kooperation der Partner

Wir haben gesehen: Die verschiedenen, am schulischen Prozess beteiligten Institutionen oder Personen haben zwar gemeinsame Ziele (oder sollten sie doch haben), zugleich aber sehr verschiedene Funktionen, die in ein Missverhältnis geraten können. Vor allem dann, wenn es am Willen zu einer positiven Zusammenarbeit mangelt. Dies kann leicht geschehen, Konflikte sind "vorprogrammiert":

  • Lehrer/in und Schüler/innen entwickelt ein Freund-Feind-Verhältnis,
  • Schulleitung und Lehrerkollegium befinden sich in Auseinandersetzungen um Stundenverteilungen und Aufgabenstellungen, die von der Leitung eher autoritär durchgesetzt werden,
  • die Kooperation mit den Eltern funktioniert nur schlecht: Eltern glauben, die Lehrer/innen setzten sich nicht genug ein und behandelten ihre Kinder unfair,
  • Lehrer/innen wehren sich gegen ständige Interventionen bestimmter Eltern, die sich ständig beklagen.

Auch hier ist es zunächst einmal nötig, die verschiedenen Positionen zu verbalisieren und in einem Diskussionsprozess zu klären: Erst hierdurch können Missverständnisse ausgeräumt und positive Veränderungen herbeigeführt werden.


5. Das Problem der Disziplin

Natürlich ist dies eines der schwierigsten Konfliktfelder. Eltern klagen über die Disziplinlosigkeit der Kinder, die Lehrer/innen stehen oft hilflos vor einer renitenten, widerständigen Klasse, die allen Bemühungen Widerstände entgegensetzt.
Konflikte zwischen einzelnen Schüler/innen oder Gruppen und Cliquen eskalieren und stören die Unterrichtsarbeit massiv. Dem entgegen zu steuern fällt schwer.

Auch für diesen Aspekt des Schulkonfliktpotentials ist es notwendig, sowohl analytisch als praktisch Anstrengungen zu unternehmen:

  • Wie können Unterrichtsmethoden so verbessert werden, dass das Interesse der Schüler/innen nicht schnell erlahmt?
  • Wann und inwieweit müssen Lehrer/innen auch mit ihrer Autorität intervenieren und Grenzen setzen?
  • Wie geht man mit manifesten oder latenten Konflikten um?
  • Wann sind Einzelgespräche angebracht, wann eine Diskussion innerhalb der gesamten Gruppe?
  • In welchen Fällen ist es nötig, die Schulleitung oder die Eltern einzuschalten?
  • Was unternimmt man gegen Gewalt und Mobbing?
  • Können Mediation oder Streitschlichterprogramm helfen, wie werden diese organisiert?

Im folgenden Teil 4 unseres Programms versuchen wir, Möglichkeiten des Umgangs mit Konflikten aufzuzeigen. In jedem Falle ist es aber zunächst nötig, das bestehende Schulkonfliktpotential und konkret eingetretene Konflikte differenziert zu analysieren und jeweils zu klären, welche Faktoren und Einflüsse die ausschlaggebenden sind.

 

3.8 Eskalation von Konflikten 4.1 Wer hat Recht? -Gewinner und Verlierer-





 



Video:

Ein Konflikt im Unterricht der Schule für Erziehungshilfe München (724 KB)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Vertiefung:

Beispiele zu den jeweiligen Punkten der
Rahmenbedingungen

 

 

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Eine Lehrerin zum
Thema: Einfluss der Klassengrösse auf den Unterricht

 

 

 

 

 

 

Die Asymmetrie zwischen Lehrerin und Schülerin, dargestellt in einer Statue aus dem Szenischen Spiel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Literatur