4 Konfliktbearbeitung und Konfliktlösung

4.7 Sozial-und Anti-Gewalttraining









Stark ohne Gewalt
Was ist eigentlich Gewalt?

Innerhalb dieser Einheit unseres Programms wollen wir, auf die schulische Situation bezogen, den Begriff der Gewalt weiter klären, uns mit "Vorurteilen" beschäftigen, die zur Gewaltanwendung führen können, Möglichkeiten des Schutzes und der Prävention diskutieren, das Handlungsrepertoire der Teilnehmer/Innen in potentiell gewaltträchtigen Situationen erweitern.

Stark ohne Gewalt

Unter diesem Motto gibt es immer häufiger Antigewalttrainingsprogramme an verschiedenen Schulen. Entscheidend ist dabei der Gedanke der Prävention: Gewalt soll nicht erst dann bekämpft werden, wenn sie manifest ist und erhebliche Störungen und Verletzungen hervorgerufen hat.

Am Anfang dieser Einheit werden einige Fragen stehen, die auch in der Öffentlichkeit immer stärker diskutiert werden:

Hat die Gewalt an Schulen, wie oft behauptet, zugenommen?
Hat sich die Qualität von Gewalt geändert?
Oder sind wir einfach sensibler geworden, wenn es um dieses Thema geht?

Wissenschaftliche Untersuchungen liefern in diesen Punkten zwar noch keine eindeutigen Ergebnisse, u. a. weil ältere Erhebungen zum Vergleich fehlen doch scheint die Gewaltbereitschaft insgesamt gestiegen zu sein. Spektakuläre Ereignisse beschäftigen zunehmend Medien und Gerichte. Moralische und auch autoritative Grenzsetzungen greifen immer weniger.

Auf jeden Fall aber besteht bei vielen Schüler/innen und Lehrer/innen ein subjektiv wahrgenommenes Gefühl von Angst und Bedrohung. So tragen Schüler/innen manchmal Waffen bei sich oder bleiben aus Angst der Schule fern. Und Lehrer/innen trauen sich nicht immer, Grenzen durchzusetzen. Außerdem war und ist kaum von der Hand zu weisen, dass es im Schulalltag tatsächlich schon immer und immer wieder Akte von direkter oder indirekter Gewalt gibt - auch körperlicher Gewalt, der damals wie heute entgegenzuarbeiten ist.

Gewalt gehört zu unserem Leben - wir erfahren sie in verschiedenen Formen privat und in Institutionen, auch der Institution Schule.
Im Großen wird sie uns medial in der Berichterstattung über Kriege und inner- wie interstaatliche Konflikte vorgeführt. Dennoch gibt es eine große Wirksamkeit gewaltlosen Handelns. Manchmal ist die Wirkung der Gewaltlosigkeit sogar größer als die Wirkung gewaltsamen Handelns.

Wir wollen deshalb hier eine Äußerung jenes politischen Führers - Mahatma Gandhi - anführen, der in der Weltpolitik des 20. Jahrhunderts für die Wirksamkeit der Gewaltlosigkeit bei der Erreichung politischer Ziele - hier der Unabhängigkeit Indiens - steht.


Überlegen Sie, wie der folgende Text im Hinblick auf unser spezielles Thema, die Schulung in der Gewaltvermeidung, zu verstehen ist:

"Ich erkannte, dass das Gesetz der Liebe wirksamer ist, als das Gesetz der Zerstörung je sein könnte. Je mehr ich an diesem Gesetz arbeite, umso größere Freude empfinde ich am Leben, an dem Aufbau des Kosmos. Es gibt mir Frieden und den Sinn der Geheimnisse der Natur, wie es mit Worten zu schildern nicht in meiner Macht steht.
In unserer Zeit, in der so viel Wunderbares geschieht, wird niemand behaupten, eine Sache oder Idee sei wertlos, weil sie neu ist. Zu sagen, eine Sache sei unmöglich, weil sie schwer durchführbar ist, steht gleichfalls nicht im Einklang mit dem Geist unserer Epoche. Wir erleben täglich Dinge, von denen niemand auch nur geträumt hätte. Das Unmögliche wird fortlaufend möglich. Wir werden heutzutage von den erstaunlichsten Entdeckungen im Bereich der Gewaltanwendung überrascht. Ich verfechte jedoch die Ansicht, dass noch weit unerhörtere und scheinbar noch unmöglichere Entdeckungen im Bereich der Gewaltlosigkeit gemacht werden können." (Mahatma Gandhi)

Was ist eigentlich Gewalt? Was sind eigentlich Gewalthandlungen?
Woran erkennt man sie?

Diese Fragen sind nicht immer einfach zu entscheiden.
Wir beschreiben deshalb zunächst jeweils in einem kurzen Satz bestimmte Handlungen, die möglicherweise in sehr unterschiedlicher Weise als "Gewalthandlungen" zu bezeichnen sind:

  • Ein Vater reißt sein Kind, das auf die Straße gelaufen ist, vor einem Auto weg und tut ihm dabei sehr weh.

  • Ein Mädchen klaut aus der Klassenkasse 5 Euro.

  • Atomkraftgegner blockieren einen Atommülltransport.

  • Eine Autofahrerin fährt in der 30 km/h-Zone 60 km/h.

  • Die Mutter gibt ihrem Kind einen Klaps auf den Po.

  • Der Lehrer gibt einer Schülerin eine schlechte Note.

  • Die Schülerin lässt einen Klassenkameraden nicht abschreiben.

  • Ein Inline-Skater fährt mit 30 km/h in der Fußgängerzone.

  • Passanten schweigen, als eine dunkelhäutige Frau beschimpft wird.

  • Ein Obdachloser erfriert.

Grundsätzlich können wir zwei Grundformen der Gewalt unterscheiden:
die seelische Gewalt
(also etwa das Mobbing, das meist eine indirekte Gewalt ist) und die physische Gewalt, also die direkte Gewalt (Körperverletzung). Beide Formen finden sich in schulischen Konfrontationen, und häufig treten sie auch gemeinsam auf. Die Unterscheidung ist jedoch wichtig, wenn es darum geht, sich zur Wehr zu setzen und/oder Hilfe zu finden.


Ziele und mögliche Abläufe eines Antigewalttrainings:


1. Gewaltprävention

Um zu einem wirksamen Schutz vor Gewalt zu gelangen, sind präventive Maßnahmen notwendig, die in der Schule alle Beteiligten betreffen:

Auf der Schüler/innenseite geht es darum,

  • eine Erweiterung der sozialen Kompetenz zu erreichen,
  • alternative Wege zur Schädigung von Personen und Sachen zu kennen und zu beschreiten,
  • eine verbesserte Außen- und Selbstwahrnehmung zu fördern.

Auf der Lehrer/innenseite ist anzustreben,

  • eine spezifische Kompetenz im Umgang mit gewaltträchtigen Situationen zu erwerben,
  • über ein Trainingsverfahren zu einem besseren Umgang mit in der Schule auftretendem Stress zu gelangen,
  • durch Supervision konkrete Möglichkeiten der "Entschärfung" aggressiver Situationen zu finden und diese zu kontrollieren.


2. Die BCC-Phase (Time between contact and crime)

Was ist BCC?
Diese Phase bezeichnet den Zeitraum des ersten Kontaktes zwischen potenziellen Opfern und Täter/innen und der möglichen Gewalthandlung. Aus unserem Alltag sind uns unterschiedliche Varianten der BCC-Phase geläufig, wie z.B. das Auflauern und Konflikte auf dem Schulweg, unliebsame Begegnung in der Straßenbahn, beim Kneipen- oder Discobesuch, usw..

Umgang damit
Es gilt dabei schon im ersten Augenblick die Situation zu analysieren und zu entscheiden, ob vielleicht Rückzug oder Ausweichen noch möglich ist. In der Realität ist es leider nicht immer einfach, sich solchen Auseinandersetzungen zu entziehen.
Daher vermittelt das Antigewalttraining den Teilnehmer/innen für solche Situationen ein breites Handlungsrepertoire. Durch frühzeitige Wahrnehmung und das Durchbrechen von negativen Verhaltens- und Handlungsschemata können Konflikte bewältigt werden, ohne dass es zu einer körperlichen Konfrontation kommen muss. Denn Stärke ist nicht ausschließlich gleichzusetzen mit Körpergröße und/oder Muskelkraft. Es gilt individuelle Stärken zu entdecken sowie situations- und altersgerechte Abwehrstrategien zu entwickeln.
Wichtig ist die frühzeitige Wahrnehmung einer Konfliktsituation, das Durchbrechen von Verhaltens- und Handlungsschemata sowie der Einsatz von Selbstverteidigungstechniken bei einer weiteren Eskalation.

3. Ziele des Antigewalttrainings

Hauptziele eines Antigewalttrainings sind:

  • Erweiterung des Handlungsrepertoires der Teilnehmer/innen in gewaltträchtigen Situationen (z.B. Zeitgewinn, deeskalierende Gesprächsformen, Möglichkeiten der Distanzwahrung etc.),
  • Förderung von eigenverantwortlichem Handeln (Umgehen mit dem eigenen Schutzbedürfnis oder der eigenen Disposition zur Gewalt, Übernahme von Verantwortung für die eigene Sicherheit etc.),
  • Verständnis für Körpersprache und Körperbeherrschung (Anzeichen der Gewaltbereitschaft, aggressionsmindernder Körperausdruck etc.),
  • Selbstbehauptung/Selbstverteidigung: Tätigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse kennen zu lernen und anzuwenden (Kampftechniken, Ausweich- und Ausfallschritte, Selbstverteidigungsmaßnahmen etc.),
  • Stärkung des Gruppen- /Klassenverbandes insgesamt, sowie der Solidarität mit seinen schwächeren Mitgliedern.

4. (Unterrichts-)Praktischer Umgang mit Gewalt


Wie man konkret mit dem Gewaltthema umgehen kann, beschreibt ein Schüler, Gülcin Durmus, in einer Unterrichtseinheit, in der es um Sensibilisierung ging, aber auch darum, Mittel gegen Gewalt zu finden. Hier ein Ausschnitt aus seinem Bericht:

"Wir lernten durch Rollenspiele, wie wir uns in verschiedenen Situationen, die mit Gewalt zu tun haben, am besten zu verhalten haben. Das Wichtigste war für uns, dass es wesentlich besser ist, frühzeitig durch Wachsamkeit eine drohende Gefahr zu erkennen und ihr aus dem Weg zu gehen (nicht zu flüchten, weil das den möglichen Täter aufstacheln könnte, wenn er die Angst erkennt!). Lange diskutierten wir über "Feigheit" und "Ehre verlieren", kamen fast einstimmig überein, dass ein Ausweg aus der Gewalt der bessere und "gesündere" Weg ist.

Der Tipp von Stephen, nicht in den Angriff zu gehen, sondern beispielsweise Kleidung oder andere Gegenstände widerstandslos herauszugeben und uns die Person dabei sehr gut zu merken, um später eine eventuell notwendige Täterbeschreibung machen zu können, kam zuerst nicht sehr gut an. Einige hatten Angst, dann vom Täter bedroht zu werden. Aber Stephen berichtete von mehreren Beispielen, wo auch andere ähnliche Ängste hatten, aber dann doch eines Besseren belehrt worden sind.

Yvonne und Stephen haben uns dann noch gesagt, dass wir in unserem Stadtspiel <http://www.eso.cidsnet.de/stadtspi.htm>, wenn wir die verschiedenen Beratungsstellen aufsuchen, einige Hilfen für "Opfer" angeboten bekommen würden.

Zum Schluss haben wir geübt, kurze Personenbeschreibungen anzufertigen. Auch hier gab es wieder nützliche Tipps von Stephen, wie gut und schnell man sich besondere unveränderliche Merkmale einprägen kann, auch wenn man aufgeregt ist.
Die meisten Schüler waren am Schluss der Meinung, dass ein Antigewalttraining eine gute Sache ist, die möglichst jeder Mensch in unserer Gesellschaft ein oder mehrere Male gemacht haben sollte."


5. Skizze des Ablaufs eine Antigewalttrainings in der Schule

Die folgenden Elemente wurden innerhalb eines Antigewalttrainings, das erfolgreich an Schulen erprobt wurde, verwendet. Sie können als Anregung gelten, selbst etwas Ähnliches durchzuführen.

Theoretische und situative Einführung

Beim Einstieg in die Thematik wird mit den Teilnehmer/innen auf der kognitive und der emotionalen Ebene gearbeitet:

  • Gemeinsames Erarbeiten von Kommunikations- und Verhaltensregeln während des Trainings,
  • Definitionen in der Gewaltthematik (körperliche-seelische Gewalt/Täter-Opfer-Beziehung).

Interaktive Übungen

Bei diesen Übungen ("Fahrstuhl", "Die Gasse", etc.) besteht für die Schüler/innen die Möglichkeit, sich einer fiktiven Gewaltsituation im "Schonraum" Klasse auszusetzen.
Die Reflektion erfolgt in einem intensiven Gespräch, das des weiteren die Erarbeitung von Verhaltensweisen in der BCC-Phase (z.B. Körperhaltung, Einsatz von Stimme, Öffentlichkeit schaffen, Hilfe anfordern) beinhaltet. An dieser Stelle wird auch die persönliche Territorialzone definiert.

Kurzeinführung in die Selbstbehauptung und Selbstverteidigung

Hier gilt das schon oben unter Gewaltprävention Angedeutete. Gewaltprävention in dem Bereich von Selbstbehauptung und Selbstverteidigung bedeutet, einen Lernprozess in Gang zu setzen: Stärke ist nicht ausschließlich gleichzusetzen mit Größe und über Muskeln definierte Kraft.
Es gilt, individuelle Stärken zu entdecken sowie situations- und altersgerechte Abwehrstrategien zu entwickeln. Durch Sensibilisierungs-, Selbstbehauptungs-, Kommunikations- und Selbstverteidigungstraining soll das Selbstvertrauen der Teilnehmer/innen gestärkt werden. Selbstvertrauen und selbstsicheres Auftreten sind wichtig, um mit alltäglichen Ängsten besser umgehen zu können, sowie bedrohlichen Situationen schon im Vorfeld entgegenzuwirken.


Der geschlechtsspezifische Aspekt in einem Antigewalttrainig:
Geschlechtsspezifische Selbstverteidigung

Es ist eindeutig, dass Gewalt und Gewaltanwendung eine deutlich geschlechtsspezifische Dimension hat: Jungen und Mädchen erfahren drohende Gewalt, eigene Gewaltbereit-schaft und aktuelle Gewaltsituationen als aktiv oder passiv Agierende unterschiedlich. Dies betrifft auch - aber nicht nur - sexuelle Gewaltanwendung. Deshalb ist es notwendig, sowohl für Mädchen als auch für Jungen ein Raum zu schaffen, wo Gewalterfahrungen, Ängste und Unsicherheiten Thema sind.

In der praktischen Arbeit (Antigewalttrainings) erweist es sich oft als produktiv, Gruppen zu trennen, da durch die geschlechtshomogene Arbeit für Mädchen/Frauen als auch für Jungen/Männern ein "Frei-"Raum geschaffen wird, in dem Ängste und Unsicherheiten Thema sein dürfen. Außerdem unterscheidet sich das Erleben von gewaltträchtigen Situation bei Mädchen/Frauen (z.B. sexuelle Belästigung, Vergewaltigung) erheblich von der männlichen Gewalt untereinander (Revierkämpfe", Kräftemessen" etc.).
Daher ist unbedingt notwendig, geschlechtsspezifische Strategien in Form von unterschiedlichen Techniken in der Selbstverteidigung zu vermitteln.

Durch Sensibilisierungs-, Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungstraining wird das Selbstvertrauen der Teilnehmer/innen gestärkt. Selbstvertrauen und selbstsicheres Auftreten sind wichtig, um mit alltäglichen Ängsten besser umgehen zu können sowie bedrohlichen Situationen schon im Vorfeld entgegenzuwirken.

 

Komplexe Beispiele für gewaltträchtige Situationen erörtern:

  • Ein Mann versucht, seine Freundin zu überreden, mit ihm zu schlafen, obwohl sie bereits Nein gesagt hat.
  • Ein Politiker nennt Flüchtlinge "Asylschmarotzer".
  • Gewerkschaftsmitglieder versuchen, Arbeitswillige am Zugang zum Betrieb zu hindern

Versuchen Sie, zu diesen Beispielen folgende Fragen zu überlegen und dann zu beantworten:

  • Wo könnte bei diesem Beispiel der Gewaltcharakter liegen?
  • Welche Art von Gewalt wird angewendet?
  • Um welche Schwere handelt es sich: sehr schwer, schwer, minder schwer?
  • Gäbe es Gründe, in einem bestimmten Fall diese "Gewaltanwendung" zu rechtfertigen?
  • Handelt es sich dann noch um wirkliche Gewalt?

Sie werden feststellen, mit der Erörterung solcher Beispiele werden Fragen aufgeworfen, die tief in die Sphären des Politischen, des Moralisch-Ethischen, sogar des Religiösen reichen. Sie berühren auch die persönliche Verantwortung. Deshalb zum Schluss die folgenden Fragen:

  • Wie würden Sie sich in den angesprochenen Fällen als beteiligte oder beobachtende Person verhalten?
  • Welche Gründe können sie für dieses Verhalten anführen?

 

Körpersprache

Anhand von praktischen Beispielen wird zur Schulung der Fremdwahrnehmung die Theorie der Körpersprache erarbeitet. Innerhalb unseres Programms finden Sie eine eigene
Einheit zur Körpersprache. In diesem Zusammenhang sind vor allem Drohgebärden und aggressive Körperhaltungen relevant - aber auch körpersprachliche Formen, die eine Deeskalation ermöglichen.

Techniken, Geschicklichkeit, Zusammenarbeit, Kommunikation

Zum Abschluss lassen sich sehr gut interaktive Übungen, wie z.B. "Bodyguard", "Der Stuhl ist mein", "Demo" einsetzen, bei denen die Teilnehmer/innen in spielerischer Form die bewusste Beeinflussung der BCC-Phase trainieren können. Die Elemente der Selbst-behauptung/Selbstverteidigung haben dabei eher eine psychologische unterstützende Wirkung (Stärkung des Selbstbewusstseins, Selbstvertrauens).

6.BERICHTE AUS ANTIGEWALTTRAININGS


1. Hauptschule Rothenburg

Unter dem Titel "Faust gegen Wort" schreibt Bettina Thoenes zu einem an dieser Schule durchgeführten Antigewalttraining in der "Braunschweiger Zeitung" vom 20. Juli 1999
u.a.:

Kalle baut sich breitbeinig vor dem Schüler auf. "He, was sollst du sagen? Ich bin der Herr der Gasse. Sag das. "Kalle packt ihn."Jetzt gib dein Hemd her. Und die Geldbörse. War's das schon? Noch die Turnschuhe." Kalle tut zufrieden, lässt den Achtklässler vorbei. Er hat bekommen, was er wollte.
"Täter suchen jemanden, den sie in den Staub treten können, sie suchen den Kick."sagt Karl-Heinz Emter der den Kalle gespielt hat und Sozialarbeiter ist.
Im Rollenspiel demonstriert er den Schülern der 7. und 8. Klassen der Hauptschule Rothenburg/Weststadt, wie mies, wie erniedrigt man sich als Opfer fühlt - und wie man sich vor Gewalt schützen kann.

Aktiver Opferschutz ist Teil des Antigewalttrainings, das ein Team von Sozialarbeitern und Sicherheitstrainern zur Zeit modellhaft an der Rothenburg-Schule anbietet. Die Initiatoren, Mitarbeiter der Jugendzentren Broitzem und "Rotation" in der Weststadt, gehören dem Braunschweiger Arbeitskreis Gewaltprävention an. Der Schulleiter Dr. Harald Wiesner ist über die Unterstützung seitens der Jugendhilfe froh und führt dazu aus:

"Die Gewaltbereitschaft von Schülern ist allgemein gestiegen", Präventionsarbeit tue not. Wie groß der Bedarf danach ist, zeigen die rund zehn Anfragen von Schulen, die den Arbeitskreis Gewaltprävention wöchentlich erreichen.

Das beschriebene Projekt knüpft an das ökumenische Projekt "Schritte gegen Tritte" an, das Pastor Klaus Burckhardt bereits mit Erfolg unter anderem an der Hauptschule Rothenburg durchgeführt hat.
In diesem Antigewalttraining werden die Schüler/innen nun im Schonraum des Rollenspiels mit gewaltgeladenen Situationen konfrontiert, setzen sich mit den Ursachen der Gewalt und mit der Täter-Opfer-Rolle auseinander.

"Viel Gewalt entsteht aus Sprachlosigkeit", sagt der Sozialarbieter Karl-Heinz Emter.
Ziel sei der "Waffentausch: Faust gegen Wort." Die Jugendlichen sollen sich mit ihren Verhaltensweisen auseinandersetzen - als potentielle Täter oder Opfer. Im anschließenden Sicherheitstraining üben sie Selbstbehauptung und Selbstverteidigungstechniken.

Die Trainer wissen:
Mit einem einwöchigen Projekt allein ist es nicht getan. Als nächsten Schritt bereiten sie die Ausbildung von Schüler/innen zu Streitschlichter/innen und Konfliktlots/innen vor. Diese sollen bei Problemen Ansprechpartner sein, vermitteln und beraten. Sinnvoll, meint Karl-Heinz Emter, wären zum Beispiel auch schulinterne Lehrerfortbildungen zu diesem Thema. Gunter Kröger schwebt eine Vernetzung von Schule und Jugendhilfe in der Gewaltprävention vor. Wie in dem oben beschriebenen Modell, so seine Vorstellung, können z.B. Mitarbeiter/innen der Jugendzentren an Schulen vor Ort Antigewalttrainings-Programme umsetzen.

 

2. Das Projekt "Stark ohne Gewalt" des Schulzentrums Zell


Hier (gekürzt) der Versuch einer Schule, ein weitgehend schülerorganisiertes Anti-Gewalttraining durchzuführen:

Jugendliche treffen in ihrem Umfeld zunehmend auf Gewalt. Um dieser Tatsache zu begegnen, hatten sich die Verantwortlichen aller drei Schularten des Schulzentrums Zell zur Durchführung eines Anti-Gewalt-Trainings entschlossen.
In einer gemeinsamen Aktion setzten sich alle Achtklässler des Schulzentrums zunächst mit der Begriffsbestimmung von Gewalt auseinander. Es wurde den Schülern bewusst, dass es leichter fällt, bei einem anonymen Menschen Gewalt anzuwenden, als bei einem Bekannten. Anhand von Rollenspielen sahen sich die Schüler auch mit den verschiedensten Vorurteilen gegenüber auffälligen sozialen Gruppen konfrontiert.


Wer ist gewalttätig?
Was kann ich tun?
Wie schütze ich mich?
Diese Fragen musste jeder für sich beantworten.
Lebhaft diskutierend fand man eigenständige Lösungsansätze, die den jeweiligen Situationen angemessen waren. Ermutigend war, dass alle Situationen, in denen die Schüler/innen Regie führten, von einer spontanen Hilfsbereitschaft getragen waren. Man wollte dem Bedrängten zu Hilfe eilen, ohne sich selbst zu gefährden. Der Anteil der Gewalt sollte dabei reduziert werden, "deeskalieren".

 

Der letzte Teil des Trainings beschäftigte sich mit der Frage der "Prävention", der Vorbeugung: Wie können wir den Ausbruch solcher Konflikte vermeiden?
Die sechzehnjährige Julia Ott von der Schule für Lernbehinderte fasst stellvertretend für alle Teilnehmer die Ergebnisse zusammen:

"Ich fand besonders gut, dass wir gelernt haben, sich mit Worten zu wehren. So vermeidet man, dass man gleich draufhaut."

Was aber sollen die Jugendlichen tun, wenn die Auseinandersetzung unumgänglich ist? "Bittet die Umstehenden gezielt um Hilfe und gebt euch nicht mit der Opferrolle ab!", empfiehlt Hubert Lenz. "Es gibt keine Patentrezepte", ergänzt Dieter Michel, "doch ein entschlossenes gemeinsames Auftreten kann sehr hilfreich sein." Den Schüler/innen gefiel dieses Projekt. Neben einer ganzen Reihe an "action", die sie selbst produzierten, gingen sie nach Hause in dem Bewusstsein: Heute haben wir wirklich etwas für das Leben gelernt!