[1]Baltimor
= Baltimore - Die Adresse befindet
sich auf der Rückseite des Faltbriefes. - J. H. zur Oeveste hat den
Brief vermutlich dem Kapitän mitgegeben. Auch Reisende nahmen Briefe
mit und konnten durchaus ein Geschäft daraus machen. 60 Cents kostete
1841 ein Brief (unter 14 Gramm) aus dem Mittleren Westen nach Bremen,
26
Cents im Jahre 1853 von Indiana bis ins Königreich Hannover. 1857
(vgl. Anm.
94) waren es 21
Cents über Bremen und 42 Cents über Frankreich, ab 1868 einheitlich
10 Cents und ab 1871 dann 6 Cents.
Dieser Brief ist vermutlich der erste längere Text, den J. H.
zur Oeveste seit dem Ende seiner Schulzeit im Jahre 1816 zu Papier
gebracht
hat. Er hat nicht die Hauptschule in Bramsche besucht, sondern die 1721
eingerichtete Nebenschule (auch Winkel- oder Klippschule) in der
Bauerschaft
Rieste, vermutlich von 1807 bis 1815. Er wurde unterrichtet von Hermann
Henrich Hoberg (geb. 1759), der 1792 angab, er habe vom 6. bis zum 16.
Lebensjahr die Schule in Bramsche besucht, habe immer Lehrer werden
wollen
und sich neben der Arbeit im Elternhaus "im Erlernen der Wissenschaften
stets fortgeübt, welche meiner Meinung nach zu einer künftigen
Schullehrer hiesiges Landes erfordert werden". 1779 habe die
Bauerschaft
Rieste ihm die Lehrerstelle angeboten, und er habe sie angenommen,
nachdem
er vom Pastor Block (Bramsche) "vorher examiniert und dazu tüchtig
befunden worden" sei. Er habe 1783 geheiratet; von fünf Kindern lebten
noch zwei.
1792 hat Lehrer Holberg der (geistlichen) Schulaufsicht
berichtet,
"39 Knaben" und "41 Mädchen" habe er in der "sehr guten" Schule (6.90
x 4.00 x 2.60 m), regelmäßig die Kinder der Vollerben, "saumselig"
die Kinder der Heuerlinge, "welche sie unter dem Vorwand der Arbeiten
gern
zurück behalten". Bis zu sechs Stunden unterrichte er täglich,
außer am Mittwoch- und Sonnabendnachmittag, vormittags von 8/8.30
bis 12 und nachmittags von 13 - 15/15.30 Uhr. Ferien gebe es von
"Johanny
(24. Juni) bis Michaelis (29. September). Zu Weilen wird wohl 4 Wochen
vor Michaelis wieder angefangen".
"Der Anfang eines jeden Morgens" werde "mit dem Singen von
einem Morgen-Gesang
gemacht welches 1/4 Stunde währt; dann folgt das Gebet, mit welchem
wiederum 1/4 Stunde verfließt", berichtete Lehrer Holberg dem
Consistorium.
Dann wechsle alle viertel Stunde Lesen und Schreiben mit Hilfe von
Gesang-
und Evangelien-Buch und Katechismus, von der 2. Klasse bis zu den
"Erwachsenen",
danach folge "3/4 Stunde das Buchstabieren der Kleinsten im ABC-Buch".
Dann habe jedes Kind "von der öbersten Klasse bis nach der untersten
hin" zu buchstabieren (1 Stunde). Zum Schluß werde das Geschriebene
nachgesehen, von den Kleinen Gelerntes aufgesagt: "dann werden einen
Tag
wie den anderen die Confirmanden im Katechismo vorgenommen", und "das
Singen
von einen Vers und 4 oder 5 kurze Gebeter machen den Beschluß. Des
Nachmittags bleibet dieselbe Ordnung". Er strafe mit "Vorstellungen und
Ermahnungen" die Leichtsinnigen und Unachtsamen, "die Muthwilligen"
aber
"nach Beschaffenheit ihrer Fehler mit der Ruthen, und die
Starrsinnigsten
mit dem Stocke".
Seine Einnahme in Gantzem gab er mit 26 Taler "für Schreiben,
Rechnen und Unterricht" an, von den Eltern aufgebracht (Wer Tage oder
Wochen
fehlte, zahlte auch weniger). Zu Neujahr bekomme er "freiwillige
Gaben",
die "höchstens 4 Thaler wehrt" seien, aus der "Bewilligung, in der
Ernte Garben zu sammlen", erziele er 6 Taler. "Die Leichen mit Gesange
bis Bramsche zu begleiten" bringe "für jede 7 Schillinge" (1/3 Taler).
Etwas Gartenland erhielt er 1799 und 1801 noch 0,5670 ha Heide dazu,
1811
schließlich 0,3402 ha Ackerland, für die er der Bauerschaft
ein wenig Pacht zu zahlen hatte. (Hargest 150f., 203, 217; Hoffmeyer
1925,
1-25, 112-114; StOs: Rep 701 I, 862)
[2]Die Hansestadt Bremen
hatte den "Bremer Hafen" im
September 1830 eröffnet. Die zunehmende Versandung der Weser hatte
den Kauf des Geländes vom Königreich Hannover und den Bau des
Hafens "erzwungen". Mit voller Ladung konnten seetüchtige Schiffe
schon seit 1619 Vegesack nur mit der Flut erreichen. Vom 7. Mai 1817
bis
zum 13. November 1833 verkehrte ein Dampfschiff zwischen Bremen und
Brake,
1832 zweimal wöchentlich bis Bremerhaven. Die "Verlängerung"
bis zur Wesermündung wurde 1833 nicht wieder aufgenommen; die meisten
Auswanderer hatten das luxuriöse und teure Angebot (ca. 2 Taler) nicht
angenommen. Der Makler Johann Dethard Lüdering (Bremen) ließ
vom 1. März 1834 an den hölzernen Raddampfer "Bremen" zwischen
Bremen und Bremerhaven verkehren. Schon im Juni mußte der Betrieb
wegen zu geringer Tauchtiefe unterbrochen werden. J. H. zur Oeveste
benutzte
wahrscheinlich den offenen Weserkahn (Segel), der für die Strecke,
abhängig von Gezeiten, Wind und Ladung, auch schon mal "entschieden
mehr als 24 Stunden" benötigte. Friedrich Gerstäcker war im Mai
1837 mit gut 60 Auswanderern und deren Gepäck auf diesem "kaum 25
Schritt langen Fahrzeug". (Gerstäcker 11; Szymanski 43-58; Wätjen
114f.)
[3]Es war die
(zweimastige) Brigg "Magdalene",
für die der "obrigkeitlich angestellte und beeidigte Schiffsmäkler"
Johann Dethard Lüdering aus Bremen, wohl auch über seinen Agenten
J. R. Möllmann in Bramsche, die Fracht besorgt hatte: 94 Personen
aus der Landdrostei Osnabrück und aus dem Oldenburger Münsterland
enthält die "Liste
der Passagiere"
mit zum Teil anglisierten Vornamen, zuletzt Johann Heinrich zur
Oeveste:
"John Henry Oefster".
Erwachsene über 12 Jahre hatten im Frühjahr 1834 bei allen
Maklern für einen Platz im Zwischendeck "im Durchschnitt nach Baltimore
oder New-York 32 Thaler Gold" zu zahlen. So stand es am 19. Februar
1834
in den "Osnabrückische(n) Öffentliche(n) Anzeigen". (Am 24. April
1833 hatte der Sattlermeister Pirtring aus Ostercappeln, Agent der
Makler
Westhoff und Meyer, für Personen über 12 Jahre 40 Taler, für
Kinder von 4-8 Jahren 17,5, für 1-4jährige 10 Taler verlangt.)
- Ein Knecht verdiente im Amt Fürstenau 1836 "etwa jährlichs
15-16, eine Magd 7-8 Thaler. Briefen aus Amerika zufolge verdienen die
ersteren aber dort 100-120, die letzteren 40-50 Thaler," hieß es
in einem Bericht des Amtes Fürstenau vom 18. Januar 1837.
Vergleiche das Stichwort "Segelschiffe".
(Arends 19, 22f.; Engelsing 131, 162f.; Gerstäcker 1976,15f.;
NAMP: M 255, R. 1 "Magdalene"; NAMP: M 255, R. 9 "Goethe";
Oldenburgische
Anzeigen: 22. Mai 1833; Osnabrückische Anzeigen: 27. März 1833,
24. April 1833, 5. Juni 1833, 27. Juli 1833; Feldkamp 6, 15, 20f., 32f., 52f.; StOs:
Rep
355, 4247 II, 287-289: Amt Fürstenau; Szymanski 1972,62ff.)
[4]Im Jahre 1834 fiel
Ostern auf den 30. März.
[5]Ca. 15 km in der
Stunde.
[6]Ca. 335 km.
[7]Der
Gesundheitsinspektor teilte auf der vom Kapitän
ausgehändigten Passagierliste der Fa. Lüdering (vgl.
Anm. 3) am 19. Mai 1834 dem "Bürgermeister der Stadt
Baltimore"
mit: "Sir, die bremische Brigg Magdalene, Kapitän Bremer, 56 Tage
unterwegs von Bremen mit 94 Passagieren, davon 14 unter fünf Jahren,
sind hier in der Quarantäne alle in guter Gesundheit angekommen. Es
wird erlaubt werden, am Montag mit der Ausschiffung zu beginnen." Nur
eine
großzügige Zollkontrolle hatten die Einwanderer noch zu überstehen.
- Das "Kaltefieber" (Wechselfieber), von dem J. H. zur Oeveste am
Schluß
dieses Briefes schreibt, hat der "Doktor" nicht registriert. Es mag
sich
um Erkältungen, aber auch um Malaria gehandelt haben, die noch auf
"Ausdünstungen" (Miasmen) und schlechte Ernährung, nicht aber
auf die Malaria-Mücken (um 1880 entdeckt) zurückgeführt
wurden. Malaria grassierte zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den
Küstenregionen
Nordwestdeutschlands und der Niederlande ("Marschenfieber"). Die Reise
hatte 67 Tage gedauert; 51 Tage waren der Durchschnitt.
Vergleiche das Stichwort "Tote
an Bord"
(Cohn; Hinrichs; Jones 1989; Jones 1993,61ff.; Kiesekamp;
Moltmann
1989,309ff., 328ff.; NAMP: M 259, R. 26 "Mississippi"; NAMP: M 259, R.
39 "Oldenburg"; NAMP: M 259, R. 39 "New England"; Schormann 40-44;
Wätjen
150ff.; Wehler 1987,21)
[8]Der Flecken Vörden war
Sitz des Amtes Vörden,
wozu auch die Bauerschaft Rieste im Kirchspiel Bramsche gehörte.
Stickteich
ist eine Flurbezeichnung nördlich von Rieste.
Maria Elisabeth "Gertrud Greve von Stickdeig"
schrieb am 13.
November 1836 "An Herrn Gastwirt Greve zum Stickteich in Amt Malgarten
in Fürstenthum Osnabrück", d.h. an "Vater und Mutter": "1833
den 15. April bin ich von Euch gegangen, ich wünsche euch zu sehen".
Zumindest seit Herbst 1834 besaß sie eine "Schenke", in der ihre
Geschwister Elisabeth Maria und Rudolph, die Ende 1834 angekommen
waren,
zunächst Arbeit und ein Kosthaus fanden. Rudolph Greve schrieb am
16. Juli 1835 den Eltern: "Friedrich Husmann der ist im Lande beym
Gärtnär
verdient guten Lohn ... Wir wünschen uns nie wieder in Deutschland
zu seyn, denn wir können es nie beßer kriegen". Auch er war
seit 8 Tagen Gastwirt, wie sein Vater: "Ich sehe jetzt schon, daß
ich jeden Monat 14-16 Dollar frey Geld machen kann. Das Geld kann ich
verdienen
mit Müßig gehen und brauche nicht zu arbeiten". (Vgl.
Anm. 215; es konnte noch nicht festgestellt werden, warum
J.H. zur
Oeveste schreibt; "unsre friedrich Hußmann Gedrut greve".)
Die "Deutsche Lutherische Kirche" steht heute noch als "Zion
Church
of the City of Baltimore" am Rathaus-Platz. 1808 war sie für 36 750
Dollar von der "Evangelisch-Lutherischen Gemeinde der Stadt Baltimore"
gebaut worden. Gegründet 1755, hatte sie 1769 nur 35, 1808 knapp 300
Mitglieder. In der "Zions-Kirche der Stadt Baltimore" wollte die
Mehrheit
1823 keinen englischsprachigen Gottesdienst dulden. Dessen Befürworter
zogen aus und gründeten die erste englische lutherische Kirche in
Baltimore. Die Zions-Gemeinde beschloß 1830, Gottesdienst "für
immer" nur in deutscher Sprache zu halten. Zion wurde zur "Deutschen
Kathedrale
von Baltimore". Seit 1916 gab es Andachten, erst seit Ende des 2.
Weltkrieges
auch regelmäßigen Gottesdienst in englischer Sprache. Die Satzung
von 1853 schreibt beide Sprachen vor. Noch heute ist jeden Sonntag ein
Gottesdienst deutschsprachig (vgl.
Anm. 106).
(Familie Greve: Briefe der Maria Elisabeth Gertrud und des
Rudolph
Greve; NAMP: M 596, R. 3: 31. Dezember 1834, Quarterly Abstracts; Wust
1-62, 97-107, 127)
[9] Im Jahre 1830
hatte Baltimore 80620 Einwohner
(18910 schwarze, davon 21,8 % Sklaven), 10 Jahre später 102513 (21192
schwarze, davon 15,2 % Sklaven). (Field; Tanner 12; Schemm 80)
[10] Wheeling am
Ohio, Cincinnati am Ohio, Dayton
im Staate Ohio. - Ernst Heinrich Rudolph Kiesekamp, geboren am 21.
September
1806, stammte von dem eigenbehörigen Colonat Kiesekamp in Epe. -
"Höpkers
Sohn aus Rieste" war schon im Frühjahr 1833 in die USA ausgewandert.
Das hatte Pastor Lange von St. Martin in Bramsche notiert. Es war
Hermann
Rudolph Höpker (geb. 21. Mai 1811), dessen Eltern Hermann Heinrich
Höpker und Catharina Maria, geb. Eckelmann, in "in Cassens zur Oevestes
Leibzucht", also als Heuerleute auf dem Colonat der Eltern J. H. zur
Oevestes
lebten. Hermann Heinrich Höpker, der diesem Brief einen Gruß
an seine Eltern beigefügt hat, war am 22. April 1808 geboren. (Familie
Kiesekamp: Private Unterlagen; St. Martin, Bramsche: Kirchenbücher,
Lange)