Comic-Reportage

Als Comic-Reportage oder auch Comic-Journalismus bezeichnet man ein Genre, das mit dem Medium Comic journalistisch über gegenwärtiges oder zeitgeschichtliches Weltgeschehen berichtet. Erstmals als comics journalism bezeichnete Joe Sacco sein ab 1993 erschienenes Werk Palästina. Er gilt damit als Pionier des Genres, auch wenn im Nachhinein frühere Werke anderer Künstler ebenso hinzu gerechnet werden können. Zu jenen Vorläufern zählt Keiji Nakazawa, der in dem autobiografischen Barfuß durch Hiroshima (1972) seine Erlebnisse während des Atombombenabwurfs 1945 verarbeitet.

Auch wenn der Autor des journalistischen Comics auswählend Höhepunkte seiner Recherche herausstellt, so gibt es keinen dramaturgischen Plot wie in einer Graphic Novel. Der Comiczeichner inszeniert vielmehr exemplarische Momente anhand von Photographien oder aus der Erinnerung und illustriert Beschreibungen und Zitate. Durch die Zeichnungen wird der Eindruck eines Augenzeugenberichts verstärkt. Aktualität kann der Zeichner nur in kurzen Episoden bieten, die zunehmend bei Zeitungen wie dem Guardian auch online erscheinen. Für die umfangreichere Buchform benötigt dieser besondere Journalismus meist mehrere Jahre. Eine Reportage zu zeichnen, zwingt zu Auswahl, Betonung und subjektiver stilistischer Darstellung. Im Gegenzug wird durch dieses Medium aber besonders deutlich, dass alle anderen Formen der gemeinhin als objektiv angenommenen Berichterstattung ebenfalls diesen Prozessen unterliegen. Eine Photographie vermittelt authentischere Beobachtungen, suggeriert aber auch in stärkerem Maße Authentizität. In ihrer Bild-Text-Korrespondenz erscheint die Comic-Reportage wie die Übertragung einer Videoreportage in eine künstlerische Form. Dies erleichtert die Lesbarkeit als neues Medium.
Kritik kommt vor allem aus dem Bereich des klassischen Journalismus, denn der künstlerische Zeichenstil ist kein journalistisches Element, sondern hat seine Vorläufer eher in der politischen Karikatur. Dahingegen ist ein Grund für die Popularität des Mediums die einfachere Vermittlung psychisch fremder, etwa traumatischer oder kulturdifferenter Momente, denn visuelle Schockmomente von Photographien werden in Zeichnungen abgeschwächt. Vielleicht ist auch deshalb ein häufig wiederkehrendes Thema der Alltag der Bevölkerung in fremden Kulturen beziehungsweise internationalen Konfliktgebieten.

In Der Fotograf illustriert Emmanuel Guibert Photographien aus einem Reisebericht des Photographen Didier Lefèvre, die 1986 während des Krieges der Sowjets gegen die Mudschaheddin in Afghanistan entstanden. Mit der Verbindung von Comic und Photographie erzeugt er eine sehenswerte Erzählweise. In seinen vier Bänden Shenzhen, Pjöngjang, Aufzeichnungen aus Birma und Aufzeichnungen aus Jerusalem wiederum berichtet Guy Delisle aus seinem Alltag als Trickfilmzeichner in den jeweiligen Ländern. In einfachen Zeichnungen und mit lakonischem Humor versetzt er den Leser in das Alltagsleben des Landes. Ein Beispiel für eine weniger journalistische und eher künstlerische Gestaltung ist Steve Mumfords Bagdad Journal, in dem der Alltag im besetzten Irak in realistischen Aquarellen festgehalten wird. Eine kurze Einführung in den Comic Journalismus in Form eines Comics gibt Dan Archer hier.

Zur Besprechung von Joe Saccos Palästina und Marjane Satrapis Persepolis geht es hier.

(Stand: 19.01.2024)  | 
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