Jiddische Lieder im Nachkriegsdeutschland
(Jiddisches Lied als Politfolklore)
Sowohl in der DDR als auch in der BRD spielt Jüdische Kultur in Form des Jiddischen Liedes als "Politfolklore" eine Rolle. Die ersten, die jiddische Lieder sangen, taten dies aus politischen Gründen im Sinne desd antifaschsistischen Kampfes (DDR) oder der "vergangenheitsbewältigung", des Kampfes "gegen Rechts". Eine gewisse Verquickung mit der US-amerikanischen Folklorebewegung ist nicht zu verkennen, auch wenn die deutsche Szene in gewissem Sinne eigene Wege geht. |
1908 "Der Zupfgeigenhansel", Liederbuch der Wandervogelbewegung
1933 Spaltung der Wandervögel
1955/1960 Steinitz: Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters
als Programm
1959 Perry Friedman (Pete Seeger der DDR): Hootenannys Erstes Newport
Festival (gegr. von Seeger). Joan Baez, Bob Dylan, Seeger, Gurthrie
1960 Eberhard Rebling/Lin Jaldati singen Jiddische Lieder mit Klavierbegleitung.
Buch 1966 Theodore Bilker (geb. 1924) singt Jiddische Lieder in Newport
1963 Rohland in Düsseldorf (Kom(m)ödchen) mit Jiddischen Liedern
Baez: Don(n)a Don(n)a
1964 Burg Waldeck Festival Chanson Folklore International Kampf gegen
die Notstandsgesetze
1965 Peter Rohland LPs Lieder der Ostjuden I und II.
1966 Erste Biermann-LP in BRD Oktoberclub/Hootenany-Club Beginn der Singebewegung
Biermann prägt den Begriff Liedermacher
1968 Letztes Waldeck-Festival Diskutieren statt spielen!
1970 1. Festival des Politischen Liedes (bis Mitte 80er Jahre) Internationalisierung
der Singebewegung 1969 Woodstock 1970 vorläufig letztes Newport-Festival
1973 Beginn der Linken Blasmusikbewegung (Freiburg) 3. Festival: 40 Konzerte,
43 Gruppen aus 23 Ländern, 25000 ZuhörerInnen
1974 Moßmanns Flugblattlieder. · Einstieg des Folk in die Anti-AKW-bewegung:
Wyhl Es gibt 4500 Singeclubs · Dialektlieder· Volkshochschule
Wyhl· Student für Europa
1975 40 Folk-Festivals in der BRD Bob Dylan spielt elektrisch!
1976 Ausbürgerung Biermanns · Beginn politischer Straßenmusikkultur
1977 Espe LP Jiddische Lieder
1978 Anti-AKW-Bewegung Höhepunkt, Geburt der Grünen Moßmann/Schleuning:
alte und neue politische Lieder
1979 Nachdruck des Steinitz
1979 Zupfgeigenhansel LP Jiddische Lieder Zupfgeigenhansel
spielt seit 1975
1979 Rock gegen Rechts (Ffm.) löst Polit-Folklore ab
1981 Frankl LP Wacht ojf! Politische Jiddische Lieder. CD-Neuauflage
1997 mit neutralem Titel! Fischer Taschenbuch 1978 (96)
1981 Bei pläne und Trikont Zigeunerlieder, Internationale Polit-Folklore,
Straßenmusik.
1983 Antifa-Musikaktionen mit Jiddischen Liedern (Bremen) Stroh: Leben
Ja (1984)
1986 Newport-Revival
Burg Waldeck: das deutsche Newport, Themen der ersten Festivals Chanson Folklore International (1964), Das engagierte Lied (1965). Gründer: Hein & Oss Kröger, Peter Rohland. Auftritte von Degenhardt, Süverkrüp, Moßmann, Hüsch, Wader. Letztes Festival 1968 nach massiven Diskussionen, Singstreiks einiger Gründer wegen Gewaltakten Rechter, Basisgruppe Waldeck: Stellt die Gitarre in die Ecke und diskutiert! Die Burg selbst war ein Zentrum der bündischen Jugend. Nostalgie-Doppel-LP der Folk Friends 1978 im Haus Waders aufgenommen, 40 000 Expl. verkauft.
Zupfgeigenhansel: Name des legendären Liederbuches der Wandervogelbewegung
aus dem Jahr 1908 (mit dem berühmten Logo: siehe Abbildung!). Bis heute
Neuauflagen. - Name des Duos Erich Schneckenbecher und Thomas Friz, die seit
1975 auftreten, Liedersammlung 1978 Es wollt ein Bauer früh aufstehn
(bis 1980 40 000 Expl. verkauft) und sorgfältig recherchierte Konzept-LPs,
1979 Jiddische Lieder (CD-Neuauflage 1997). Verbindung von Straßen-,
Konzertmusik und Volksliederforschung.
Im Seminar haben wir uns die Interpretation des Liedes "Tsen Brider"
von Peter Rohland und von Zupfgeigenhansel angehört. Wir kamen
dabei zu folgendem Schluß:
Rohland interpretiert die beißend ironische Struktur des Liedes ganz direkt, d.h. bei ihm sterben die Brider wie die Fliegen und der Jidl mit der Fidl spielt dazu auf. Selbst am Ende, als keiner mehr da ist, ändert sich an diesem Duktus nichts. Die Hörer/innen werden durch diese Interpretation provoziert. Sie erleben emotional als Widerspruch die heitere Musik und den brutalen Text. Sie werden aufgefordert nachzudenken. Rohland schreibt aber nicht vor, was und wie sie fühlen sollen. Zupfgeigenhansel schreibt den Hörer/innen vor, wie sie die Geschichte hören und nachfühlen sollen. Sie interpretieren die Tragik der Geschichte. De muntere Tanz zum Schluß hebt langsam an, wie ein Teufelstanz, aus dem Nichts des Verderbens, das die Hörer/innen mal erst gründlich nachempfinden müssen. Nachdenken ist nicht angesagt und wäre hinderlich. Die Musiker wissen, wie man hören soll... Fazit: Im Sinne Brechts ist Rohlands Interpretation eine "kritische", die die Hörer/innen selbständig sein läßt. Zupfgeigenhansel steht in der westdeutschen Tradition der "verodneten Vergangehheitsbewältigung", wo man genau weiß, was man zu empfinden und zu sagen hat, wenn von Judenvernichtung die Rede ist. |