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Uni Einrichtungen Presse uni-info 2/1998

UNI-INFO
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Forschung und Lehre

Jubiläum zum Praxisbezug

100. Sitzung des Gesprächskreises Schule-Universität

Am 20. Februar feiert die Lehrerausbildung an der Universität Oldenburg, ein besonders wichtiges Standbein der Hochschule, ein Jubiläum. Der Gesprächskreis Schule-Universität (GSU) tritt zu seiner 100. Sitzung zusammen. Er hat viel dazu beigetragen, daß die Oldenburger Lehrerausbildung den Bezug zur Praxis nicht verliert - und damit eines ihrer Markenzeichen geprägt, das sie weit über Niedersachsen hinaus bekannt gemacht hat.

 Auf Anregung der damaligen "Planungskommission Lehrerbildung" beim Gründungsausschuß für die Universität wurde 1972 mit den Schulabteilungen der damaligen Bezirksregierungen in Oldenburg und Aurich der Gesprächskreis Schule-Universität (GSU) gebildet. Sein Aufbau stand im direkten Zusammenhang mit dem damals zwischen Bund und Land vereinbarten und besonders geförderten Modellversuch der Einphasigen Lehrerausbildung (ELAB). Der GSU sollte die bei der Realisierung dieser neuartigen LehrerInnenausbildung auftretenden Probleme, von denen beide Seiten betroffen waren, klären und lösen helfen. Fragen der Einbeziehung und Gestaltung berufspraktischer Studien, der Aufbau des Zentrums für pädagogische Berufspraxis (ZpB) und die Gewinnung von KontaktlehrerInnen aus den Schulen der Region standen damals im Mittelpunkt der Diskussionen. Durch die Einbeziehung der Berufspraxis in das Studium sollte im Modellversuch der Bruch zwischen Hochschulstudium und Schulpraxis überwunden werden.

 Obwohl 1980 die damalige Landesregierung das Auslaufen des Reformmodells verfügte, wurde der Gesprächskreis fortgeführt. Seine Funktion war in allen Gutachten besonders gewürdigt worden. Sie sprachen sich nachdrücklich für die Fortführung solcher Kooperationsstrukturen aus. Denn die Abstimmung zwischen Schulentwicklung und LehrerInnenbildung ist auch unter den Bedingungen der Zweiphasigen Lehrerausbildung ein zentrales Problem. Im paritätisch besetzten GSU waren von Anfang an die Schulbehörden, die Schulen und die Seminare des Vorbereitungsdienstes sowie die Fachbereiche der Universität vertreten. .

 In der 100. Sitzung soll über Gesprächsrunden mit ehemaligen und noch aktiven Mitgliedern nicht nur im Rückblick eine Bilanz für die Jahre 1972 bis 1997 gezogen, sondern auch neue Perspektiven für die weitere Zusammenarbeit in der Region entwickelt werden. Im Mittelpunkt steht ein Vortrag von Peter Döbrich, Deutsches Institut für internationale pädagogische Forschung (Frankfurt), der sich unter dem Rahmenthema "Schulentwicklung und LehrerInnenbildung" mit Fragen des Qualitätsmanagements im Schulbereich in Europa auseinandersetzen wird. Erwartet werden über 100 TeilnehmerInnen. .

 Im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung wird auch eine neue Vereinbarung zur Durchführung schulpraktischer Studien zwischen der Schulverwaltung und der Universität unterzeichnet werden. Diese löst eine Vereinbarung vom März 1988 ab. Das Feld der Zusammenarbeit zwischen Schule und Universität wird erheblich breiter gestaltet. Danach wollen sich beide Seiten - Schulbehörde und Universität - auf der Basis der zurückliegenden Erfahrungen gemeinsam nicht nur um eine stärkere Praxisorientierung in der LehrerInnenbildung bemühen, sondern zugleich auch die Schul- und Unterrichtsforschung, die Kooperation zwischen den Ausbildungsphasen und die Fort- und Weiterbildung fördern. Die Einbeziehung von Lehrer-Innen in den Studienbetrieb an der Hochschule (früher "KontaktlehrerInnen", heute "Mitwirkende LehrerInnen"), die Pädagogische Woche (hervorgegangen aus den "Studien- und Mentorentagen"), der Aufbau der Arbeitsstelle Schulreform (AS) und des Oldenburger Fortbildungszentrums im ZpB sind durch die Zusammenarbeit im GSU gefördert bzw. ermöglicht worden. Auch vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, daß die Arbeit des Gesprächskreises überregional viel Beachtung findet. Das über Jahre gewachsene "Betriebsklima" im GSU soll in den kommenden Jahren auch zum Aufbau des Didaktischen Zentrums (DIZ) an der Universität Oldenburg und zur Entwicklung neuer Studien-, Lehr- und Forschungsschwerpunkte in der LehrerInnenbildung beitragen. .

Detlef Spindler

100 mal zum Mond und zurück

StudentInnen erarbeiten Studie zum Verkehrsaufkommen der Universität

Kaum zu glauben, aber wahr. Der mit der Universität Oldenburg zusammenhängende Verkehr summiert sich im Jahr zu über 80 Millionen gefahrenen, geflogenen und gegangenen Kilometern, 100 mal zum Mond und zurück. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Studierende der Universität Oldenburg in einer erstmals erstellten Studie zum Verkehr an der Universität. Die 96-seitige Studie mit dem spröden Titel "Projektbericht Ökobilanz der Carl von Ossietzky Universität - Teilbereich Verkehr" enthält neben einer Bestandsaufnahme und einer Wirkungsanalyse konkrete Lösungsansätze zur Umweltentlastung. "Diese Studie wird nicht im Schrank verstauben!", kommentierte Universitätspräsident Michael Daxner.

 Die Untersuchung ist Teil einer gesamtuniversitären Ökobilanz, die im Frühjahr erscheinen und die Basis für den Aufbau eines umfassenden Umweltmanagement-Systems bilden soll. Bisher sind nur an Fachhochschulen in Berlin und Pforzheim vergleichbare Studien verfaßt worden. Neun Monate lang haben die beiden AutorInnen und WirtschaftstudentInnen Nicole Böhmer und Jan Jantzen Gespräche geführt, Daten erfragt, Ordner gewälzt, Literatur recherchiert, Umfragen durchgeführt, ausgewertet und geschrieben. Dabei wurden alle MitarbeiterInnen der Universität und 4 % der Studierenden befragt. .

 Herausgekommen sind erschreckende, aber auch ermutigende Zahlen. So verbraucht z.B. der universitäre Verkehr jährlich über 4 Millionen Liter Kraftstoffe und verursacht damit einen klimarelevanten CO2-Ausstoß von 12.635 Tonnen. Positiv zu Buche schlägt die mit 65 % über dem Bundesdurchschnitt liegende Fahrradbenutzung zur Fahrt zur Uni bei den StudentInnen. Die studentischen PKW-NutzerInnen liegen mit 20 % allerdings nur im allgemeinen Trend. .

 Positiv auch das Semesterticket, nach dessen Einführung die Heimfahrten der Studierenden mit eigenem PKW oder in Fahrgemeinschaft zugunsten der Bahn deutlich zurückgegangen sind. Über 25 % der Studierenden haben ihr Heimreiseverhalten verändert. Dennoch hat sich bei der täglichen Anreise zur Universität bisher nur wenig gebessert. .

 Von den insgesamt gefahrenen Kilometern entfallen auf Anfahrten zur Uni 55%, Heimreisen von Studierenden 41% und Dienstreisen 4%, das sind pro StudentIn über 5.700 km und pro MitarbeiterIn über 5.000 km Anreise im Jahr. Zu Denken gibt das Ergebnis, daß unter den MitarbeiterInnen der Mittelbau wesentlich öfter mit dem Rad zur Uni fährt als die ProfessorInnen und die MTV-MitarbeiterInnen. Insgesamt entfallen auf die umweltfreundlichen Verkehrsmittel Fahrrad, zu Fuß, Bus und Bahn ca. 45 % aller universitären Verkehrskilometer, auf Auto und Flugzeug 55 %. .

 "Gerade in den Bereichen Anreise und Heimreise, die die Umweltwirkungen maßgeblich bestimmen, liegt die Chance zur Verbesserung in der Hand jedes einzelnen", schreiben dazu die AutorInnen und konstatieren ein "enormes ökologisches Verbesserungspotential". Die Universitäten dürften sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung im Umweltbereich, die aus ihrer zentralen Stellung im Bildungssystem resultiert, nicht entziehen. Mit einer Vielzahl von Vorschlägen zur Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung hin zu umweltfreundlichen Verkehrsträgern wollen die AutorInnen zu Verbesserungen beitragen. .

 Als besonders wichtig sehen sie dabei die individuelle Veränderung des Verkehrsverhaltens an, die durch eine gezielte Informationspolitik unterstützt werden soll. So könnten besonders PKW-Fahrten unter zehn Kilometern reduziert werden. Weitere Vorschläge: Die Universität sollte Carsharing und Fahrgemeinschaften bei StudentInnen und MitarbeiterInnen fördern und selbst ins Carsharing einsteigen..

 Die Studie ist erhältlich bei Dirk Fischer, Fachbereich 4Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, Tel.: 0441/798-8356, e-mail: fish@uni-oldenburg.de.

3. Polonistische Wochen

Zum dritten Mal nach 1994 und 1995 veranstaltet die Universität Oldenburg in Zusammenarbeit mit der Nikolaus Kopernikus Universität Thorn/Torun (Polen) die Polonistischen Wochen. Vom 16. bis zum 27. Februar 1998 werden ein Intensivsprachkurs in polnischer Sprache, Vorträge über Literatur, Kultur und Geschichte des östlichen Nachbarlandes sowie ein Rahmenprogramm - unter anderem mit polnischen Filmen - angeboten. Die Polonistischen Wochen richten sich an Studierende, Privatpersonen und VertreterInnen von Institutionen und Firmen. Initiatoren sind der Slavist Prof Dr. Gerd Hentschel sowie der Historiker Prof. Dr. Hans Henning Hahn. Weitere Informationen und Anmeldung: FB 11, Slavische Philologie.

Die Zukunft des Gymnasiums

Kongreß mit NRW-Wissenschaftsministerim Anke Brunn

Hauptrednerin des Kongresses "Das Gymnasium zwischen Tradition und Wissenschaftskultur", der vom 11. bis 13. Februar an der Universität Oldenburg stattfindet und zu dem über 200 TeilnehmerInnen erwartet werden, wird die Wissenschaftsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen und zugleich neue KMK-Präsidentin, Anke Brunn, sein. Sie spricht über "Wege von der Schule zur Hochschule". Den Einführungsvortrag wird Prof. Dr. Hans Bertram, Berlin, über "Kulturelles Kapital in individualisierten Gesellschaften" halten. Der Kongreß will die Situation, die Probleme und die Perspektiven zur Entwicklung des Gymnasiums, der am stärksten nachgefragten deutschen Schulform, am Ausgang dieses Jahrhunderts mit Blick auf das neue bilanzieren. Er wird vom neugegründeten Didaktischen Zentrum (DIZ) in Zusammenarbeit mit den beiden Studienseminaren in Leer und Oldenburg organisiert. Geplant wurde er unter Federführung von Prof. Dr. Arno Schmidt - im vergangenen Jahr emeritierter Erziehungswissenschaftler (Theorie und Praxis des Unterrichts am Gymnasium) der Universität Oldenburg und von den Leitern der Studienseminare in Leer und Oldenburg, Dr. Ludwig Freisel und Dr. Hartmut Kretzer, beide der Universität durch Lehraufträge verbunden. Das Kongreßthema nimmt dabei eine Formulierung von Jürgen Oelkers auf, der 1990 im Hinblick auf die einschneidenden Veränderungen der letzten beiden Jahrzehnte erklärte, es gelte die "Bedeutung der kulturellen Überlieferung und die Tatbestände der modernen Wissenschaftskultur" ins rechte Verhältnis zu setzen, wenn man zu einer (Neu-) Bestimmung dessen, was unter allgemeiner höherer Bildung zu verstehen sei, kommen wolle. Der Kongreß stellt sich die Aufgabe, das polare Verhältnis dieser beiden Komplexe an möglichst konkreten Beispielen aus Studium und Lehre an der Universität, aus der Ausbildung im Vorbereitungsdienst oder der alltäglichen Unterrichtsarbeit am Gymnasium zu diskutieren und Perspektiven herauszuarbeiten, die gegenwärtig und in der mittelfristigen Zukunft das didaktische Profil gymnasialer Bildung und Erziehung ausmachen. Im Mittelpunkt des Kongresses steht die Arbeit in neun Sektionen. Je zwei Fachvertreter aus Hochschule, Seminar oder Gymnasium führen jeweils über ein Impulsreferat in das Thema ein. Programme können beim Didaktischen Zentrum der Universität Oldenburg, 26111 Oldenburg (ZpB, Tel. 798-3038, Fax 0441/798-4900) angefordert werden.

Tagung über Verhaltensstörungen

Erziehungshilfe bei Verhaltensstörungen - Pädagogisch-therapeutische Erklärungs- und Handlungsansätze" lautet das Thema einer Fachtagung vom 18. bis 21. März 1998 in der Universität. Veranstalter ist der Wissenschaftliche Arbeitskreis für Pädagogik bei Verhaltensstörungen (DVN) in Kooperation mit dem Institut für Sonderpädagogik an der Universität. Zu der Tagung mit mehr als 100 Vorträgen, Symposien und Workshops werden zahlreiche Fachleute erwartet. Nähere Informationen bei Prof. Dr. Heinz Neukäter, Tel.: 0441/798-33659, Fax: -2012.

Fragwürdige Studien über Vorurteile junger Niederländer

Meyenberg kritisiert "Clingendael-Studien" zum Deutschland-Bild

kratisch, kriegslüstern und will die Welt beherrschen, die Deutschen sind arrogant, hochnäsig und unangenehm - so urteilen niederländische Jugendliche über ihre Nachbarn, jedenfalls wenn man den Untersuchungen niederländischer WissenschaftlerInnen glauben darf. Unter dem Namen "Clingendael-Studien" sind diese Untersuchungen, die in den Niederlanden, aber auch in Deutschland ein lebhaftes Echo auslösten, bekannt geworden. Befragt wurden zwischen 1993 und 1995 SchülerInnen und Schüler im Alter von 14 bis 19 Jahren zu ihren Einstellungen über Länder der Europäischen Union einschließlich Deutschlands. In einer Untersuchung, die das Clingendael-Institut im November 1997 veröffentlichte, werden die älteren Befragungen erneut bestätigt (Henk Dekker, Rob Aspeslagh, Bastian Winkel: Burenverdriet - Attituden ten aanzien van de lidstaten van de Europese Unie - 's Gravenhage, 1997).

 Doch die Studien sind sowohl wissenschaftsmethodisch wie politisch äußerst fragwürdig. Sie können keinen repräsentativen Anspruch reklamieren, da das Sample für die Gruppe der Jugendlichen nicht typisch ist. Überdies wird nicht selten mit Suggestivfragen gearbeitet, und es fehlen qualitative Begleitstudien. Zu diesem Urteil gelangt der Oldenburger Politologe Prof. Dr. Rüdiger Meyenberg in einem Aufsatz für das Forschungsmagazin EINBLICKE der Universität Oldenburg ("Die Vorurteile gegenüber Deutschen sind eine Aufgabe der Niederländer selbst"). Meyenberg ist an der Universität Oldenburg Leiter der Arbeitsstelle "Europäische Integration und politische Bildung".

 Eine große Schwäche der Untersuchungen liege in der isolierten Fragestellung, meint Meyenberg und erklärt wörtlich: "Offensichtlich wollen die WissenschaftlerInnen doch das politische Bewußtsein von Jugendlichen analysieren und dabei auch Aspekte von Haltungen und Einstellungen gegenüber Deutschland berücksichtigen. Wie ist aber z.B. das Interesse der Befragten an Politik, an gesellschaftlichen Ereignissen, wie ihre Werteorientierung, die ja eine wichtige Grundlage menschlichen Urteilens und Verhaltens ist? Wie urteilen sie über (damals) aktuelle Ereignisse, Golfkrieg, Bürgerkrieg in Jugoslawien, in denen auch holländisches Militär massiv involviert war? Wie denken sie über das Auftreten von neofaschistischen Gruppen in den Niederlanden?" Doch solche Fragen und Antworten suche man vergeblich.

Meyenberg moniert überdies, daß die Untersuchungsergebnisse teilweise nur referiert und zu wenig interpretiert würden: "Warum werden z.B. Frankreich, Schweden, Portugal, Irland und auch Finnland bei den Befragten 'schlechter' beurteilt als Deutschland? 1993 stand Deutschland noch auf dem vorletzten Platz der Sympathieskala, während es sich 1997 um 4 Plätze verbessert hat." Auf diese Phänomene werde nicht eingegangen.

Nach Ansicht des Oldenburger Wissenschaftlers wäre es bildungspolitisch sinnvoller, sich damit zu beschäftigen, wie junge Menschen in den Niederlanden auf ein zusammenwachsendes Europa vorbereitet werden könnten, anstatt immer wieder problematische Untersuchungsergebnisse zu publizieren.

Wesentliche Ursachen in dem einseitigen Deutschlandbild vieler junger Niederländer sieht Meyenberg in dem vorherrschenden Geschichtsunterricht, aber auch in einer "Gedenkkultur", die immer wieder auf den "bösen Nachbarn" zeige. Ohne die deutschen Verbrechen gegenüber dem Nachbarvolk in irgendeiner Weise verharmlosen zu wollen, müsse gefragt werden, warum die problematischen Seiten der eigenen Geschichte offenbar immer noch erfolgreich verdrängt würden, etwa die Massaker während des indonesischen Unabhängigkeitskrieges oder die scharfen Einwanderungsbestimmungen gegenüber Juden in den 30er Jahren.

Die Vorurteile und die politische Haltung gegenüber den Deutschen sei eine politische und pädagogische Aufgabe der Niederländer selbst, konstatiert Meyenberg.

Der Schlüsselbund, der erste Penny und die neue Sicht

Niederländisch-deutsche Kriegsbewältigung

Seit 1988 treffen sich ältere Studierende der Universität Oldenburg und der Rijksuniversiteit Groningen regelmäßig zum Erfahrungsaustausch und auch zu gemeinsamen Seminaren. Immer wieder spielte das Thema "Krieg-/Nachkriegszeit" in diesen Begegnungen eine Rolle - bis zum letzten Jahr allerdings nur am Rande. Keiner traute sich so recht heran an dieses brisante Thema, und es bedurfte fast zehnjähriger "Anlaufzeit" dazu. Im April letzten Jahres organisierte das Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) unter der Leitung von Dr. Wolfgang Grams das erste Kompaktseminar, das diese Zeit behandelte. Aufgewühlt und angerührt verabschiedeten sich damals die 20 TeilnehmerInnen mit dem Wunsch, weiterhin über diese dunkle Phase der gemeinsamen Vergangenheit miteinander im Gespräch zu bleiben. Das geschah dann am 1. und 2. Oktober 1997 in der Deutsch-Niederländischen Heimvolkshochschule in Aurich. Pleun den Otter, ein holländischer Teilnehmer des Seminars, beschreibt, wie er einen anderen Blick auf "die Deutschen" gewann:

 "Ich hatte keine Ahnung von dem, was im Seminar auf mich zukommen würde, und auch nicht, wie ich reagieren würde. Mein Vater ist gleich zu Beginn des Krieges im deutschen Bombenhagel in Rotterdam umgekommen. Nur sein Schhlüsselbund wurde später gefunden. Dieses Schlüsselbund brachte ich in das Seminar mit, dazu den ersten Penny, den ich von einem kanadischen Befreiungssoldaten erhalten hatte. Zwischen diesen beiden Gegenständen liegt für mich der Krieg, so etwas wie eine lange dunkle Nacht. Als ich sie im Seminar zeigte, war das nicht nur für mich, sondern für alle Teilnehmer ein bewegender Moment.

Im Seminar machte ich zunächst die wichtige Entdeckung, daß für die Deutschen der Krieg nicht, wie in den Niederlanden, am 10. Mai 1940 begonnen hatte, sondern eigentlich schon Jahre vorher. Darum habe ich mich sofort daran gemacht, das Buch von Golo Mann zu lesen - über die Vorkriegszeit und besonders über die Jahre 1933 bis 1940, als Hitler schon an der Macht war und in Deutschland der Keim gelegt wurde für das, was dann geschah. Ich habe das alles mit steigender Verwunderung gelesen, es hat mir gewissermaßen die Augen über die Vorgeschichte der Deutschen geöffnet. Und diese Vorgeschichte ist so wichtig für alles, was dann kam. Das wissen wir in den Niederlanden kaum, meistens überhaupt nicht.

Hinzu kommt, daß wir Niederländer ein verwöhntes Völkchen sind. Wir gefallen uns in der Rolle des Opfers. Die Deutschen sind für uns immer nur die Täter, einfach der Feind, aber wir ermessen nicht, daß sehr viele Deutsche mindestens ebenso viel gelitten haben wie wir. Sie haben auch fast alle einen oder mehrere Familienangehörige verloren, sie sind auch bombardiert worden, sie kennen auch Unterdrückung und Terror. Aber bei ihnen ist nicht nur das, da ist noch viel mehr. Sie spüren Gewissensbisse, eine Art von Kollektivschuldgefühl, und sie schämen sich auch, das merkt man. Natürlich nicht alle, aber doch sehr viele Deutsche.

Die Deutschen sind nicht also nur Täter, sondern auch Opfer. Insofern hat mir dieses Seminar die Augen geöffnet. Ich denke sogar, daß die Deutschen besonders leiden unter dieser Täterschaft, die sie bei sich tragen. Das habe ich selbst gesehen. Aber wir Niederländer bleiben nun schon mehr als fünfzig Jahre lang dabei zu jammern und Rache zu nehmen. 'Lebenslänglich' dauert heute höchstens 25 Jahre, wir aber geben den Deutschen jetzt schon mehr als zweimal lebenslang. Das ist wohl genug. Ich war auch jemand, der seine Vergangenheit unbewältigt mit sich herum trug, aber ich habe es jetzt aussprechen können, und nun ist klar: es ist genug."

"Dieser Sieg des Rechts wird sich wiederholen"

Die Friedensnobelpreis-Kapagne für Carl von Ossietzky / von Christoph Schottes

Ich beglückwünsche alle, die dies erreicht und durchgesetzt haben, die Verteidiger der guten Sache und einer reinen Persönlichkeit. Ich sage den Machthabern und Verächtern des Rechts voraus, daß dieser Sieg des Rechts sich wiederholen wird, schneller als sie glauben, häufiger und in größtem Maßstab, und daß sie stürzen werden. Ossietzky ist das Vorzeichen ihres Endes und unser erster Sieg."

 So reagierte Heinrich Mann im November 1936 auf die Nachricht, daß Carl von Ossietzky den Friedensnobelpreis bekommen würde. Noch ein Jahr zuvor war Ossietzky als Kandidat für den Preis gescheitert, und im Ernst hätte bis kurz vor dem November 1936 niemand mit einem Erfolg der erneuten Kandidatur rechnen können: Ein deutscher Regimegegner, vor kurzem im Ausland noch völlig unbekannt, ein unabhängiger Journalist ohne Hausmacht, bis Anfang November offiziell KZ-Häftling, zum Zeitpunkt der Ehrung zwar aus der sogenannten Schutzhaft entlassen, aber immer noch dem Würgegriff der deutschen Polizeibehörden ausgesetzt. Entsprechend aufsehenerregend wirkte die Entscheidung des Osloer Nobelkomitees für Ossietzky - die Weltpresse berichtete auf den Titelseiten.

In der Geschichte des Nobelpreises hatte es bis dahin keinen vergleichbaren Fall gegeben, erstmals war ein Außenseiter gekürt worden. Damit es so weit kommen konnte, war eine mehrjährige, internationale öffentliche Kampagne und eine intensive Lobbyarbeit hinter den Kulissen notwendig. An dieser Kampagne und an der Lobbyarbeit waren viele beteiligt - so z.B. Schriftsteller, Politiker und Pazifisten aus mehreren europäischen Staaten und auch einige Personen, die in Deutschland geblieben waren und unter hohen persönlichen Risiken mit den Freunden Ossietzkys im Exil Kontakt hielten. Die meisten und die wichtigsten Akteure zählten jedoch zum deutschen Exil.

Exilpolitik

 Politik im Exil - unter welchen Bedingungen findet sie statt, welche Möglichkeiten hat sie, auf welche Traditionen kann sie sich berufen? Solche und ähnliche Fragen sind für viele der gegenwärtig unter uns lebenden Flüchtlinge von größter Bedeutung. Die Nobelpreiskampagne für Ossietzky bietet ein Beispiel für die Verhältnisse, unter denen Exilpolitik in der jüngeren deutschen Zeitgeschichte stattfand.

Unmittelbar nach Ossietzkys Verhaftung in der Nacht des Reichstagsbrandes begannen verschiedene Personen, die Ossietzky persönlich oder politisch nahestanden, sich für seine Versorgung in der Haft und für seine mögliche Freilassung einzusetzen. Im Laufe der Zeit entfaltete sich eine auf Ossietzky konzentrierte internationale Solidaritätskampagne, deren Anknüpfungspunkt - der Friedensnobelpreis - ursprünglich im Zusammenhang mit Ossietzky niemandem der Beteiligten in den Sinn gekommen wäre. Es zeigte sich allerdings, daß die Kampagne für den Friedensnobelpreis ein gut geeignetes Instrumentarium zum Schutz, zur Versorgung und zur möglichen Rettung Ossietzkys bot. Die Nobelpreiskampagne wurde vor allem aus Paris gesteuert, wohin die meisten der Freunde Ossietzkys nach und nach geflohen waren. Als wichtigste Akteure des sogenannten "Freundeskreises Ossietzky" sind Hilde Walter, Milly Zirker und Hellmut von Gerlach zu nennen, alle drei Journalisten, die Ossietzky nahegestanden hatten. Aber auch andere, deren Exilort nicht Paris war, wirkten mit: Ernst Toller, Ika und Rudolf Olden, Willy Brandt, Kurt Grossmann, um nur einige zu nennen.Vor allem Hilde Walter und Hellmut von Gerlach waren intensiv mit der Beschaffung gültiger Nobelpreisvorschläge und mit der begleitenden Pressearbeit beschäftigt. Sie versuchten dabei, Vorschlagsberechtigte möglichst immer durch die Vermittlung von diesen bereits bekannten Personen zu einem Ossietzky-Votum an das Nobelkomitee zu bewegen. Das Muster ihres Vorgehens war schon im Frühjahr 1933 entwickelt worden, und zwar von dem Publizisten Otto Lehmann-Rußbüldt. Selbst auch nach dem Reichstagsbrand verhaftet, wurde er nach einigen Wochen entlassen und konnte aus Deutschland fliehen. Unmittelbar danach organisierte er zusammen mit der niederländischen Friedensvereinigung "Kerk en Vrede" ein Protestschreiben an den deutschen Außenminister von Neurath, in dem die Freilassung der zumeist ohne Anklage einsitzenden Pazifisten gefordert wurde. Das Schreiben wurde ebenfalls an den Völkerbund, den Papst und den US-Präsidenten gesandt. Über diese Schritte versuchte Lehmann-Rußbüldt dann, indem er den Sekretär der französischen Liga für Menschenrechte als Vermittler einschaltete, eine Meldung in der Pariser Presse zu lancieren. Lehmann-Rußbüldts Strategie enthielt zwei Elemente, die für die spätere Arbeit der Freunde Ossietzkys charakteristisch werden sollten: Er trat selbst öffentlich nicht als Autor bzw. Initiator von Aufrufen für deutsche Gefangene in Erscheinung. Außerdem versuchte er, Publizität in einem ausländischen Presseorgan sozusagen herstellen zu lassen. Auf diese Weise sollte gegenüber den Nazi-Machthabern der Eindruck einer autonom begründeten ausländischen Empörung erweckt werden. Die sichtbare Beteiligung deutscher Exilanten hätte den politischen Wert solcher Empörung gemindert.

Werbeschrift für Ossietzky

 Was generell für die gegen die Greuel des KZ-Systems gerichtete Propaganda galt, galt in besonderem Maße für die Nobelpreiskampagne. Je mehr Ausländer Ossietzky in Oslo vorschlugen, desto besser war die erhoffte Wirkung in Deutschland. Hinzu kam, daß von den Exilierten auch nur eine kleine Zahl an vorschlagsberechtigten Deutschen erreicht werden konnte, nämlich nur solche, die selber auch aus ihrer Heimat geflohen waren. Also mußten die Freunde Ossietzkys versuchen, in ihren jeweiligen Gastländern Professoren, Parlamentarier und Pazifisten zu finden, die sich bereit erklärten, einen deutschen Regimegegner - ihnen in aller Regel unbekannt - zum Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Hatte man so jemanden gefunden, war das doppelt wertvoll: als Vorschlag in Oslo und als Möglichkeit, über die Veröffentlichung des Vorschlags erneut Publizität für Ossietzky und für die KZ-Opfer überhaupt herzustellen.

Als ein Hilfsmittel für die Einwerbung von Vorschlägen an das Nobelkomitee produzierten die Freunde Ossietzkys u. a. eine sogenannte Werbeschrift. Neben Aufsätzen Heinrich Manns und Konrad Heidens über Ossietzky enthielt die Broschüre praktische Hinweise für Vorschlagende und mehrere Stellungnahmen Prominenter, darunter den inzwischen vielzitierten Brief Thomas Manns vom 13.10.1935, in dem er beim Nobelkomitee für Ossietzky eintrat. Die insgesamt hohe Zahl der Ossietzky-Vorschläge, die 1936 das Nobelkomitee erreichten, ist sicherlich zu einem nicht unbeträchtlichen Teil darauf zurückzuführen, daß die Werbeschrift international an viele Vorschlagsberechtigte verteilt wurde.

Schon an der Geschichte dieser Broschüre ist abzulesen, was die gesamte Arbeit für Ossietzky kennzeichnete: Das Nebeneinander von Privilegien und exilbedingten Beschränkungen, professionelles Agieren in einem oft unzulänglichen Umfeld. Die Werbeschrift war sehr gut gemacht, sie versammelte hervorragende Autoren, die alle unentgeltlich schrieben und sie repräsentierte sogar eine gewisse Breite des politischen Spektrums - zugleich hatten ihre Initiatoren es ungeheuer schwer, die Kosten für die Vervielfältigung und den Postversand aufzutreiben. Eigentlich erwünschte Übersetzungen ins Englische und ins Schwedische scheiterten an Geldmangel.

Die "Funktionsbedingungen" der Nobelpreiskampagne

 Grundlage aller Bemühungen um Ossietzky war zum einen dessen Gefangenschaft von völlig ungewisser Dauer, zum anderen die Tatsache, daß offensive Schritte zu Ossietzkys Gunsten ausschließlich von außerhalb Deutschlands ausgehen konnten. Die Träger solcher Bemühungen, Ossietzkys persönliche Freunde und politische Symphatisanten, waren größtenteils Flüchtlinge, die sich in ihren jeweiligen Aufnahmeländern einer ihnen neuen und unbekannten Situation gegenüber sahen. Der Einsatz für den in Deutschland inhaftierten Freund und Kollegen erfolgte deshalb in der Regel vor dem Hintergrund massiver exilspezifischer Probleme, etwa bei der Sicherung des Lebensunterhalts u.ä.

Die Beteiligten hatten ihren Erfahrungshorizont meist in politischen, journalistischen oder literarischen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik gewonnen. Solche Kämpfe hatten stattgefunden auf der Basis zumindest formaljuristisch existenter bürgerlicher Freiheitsrechte. Dagegen blieb den Exilierten nach 1933 gegenüber den deutschen Machthabern nicht viel mehr als das taktische Kalkül mit deren vermeintlichem Eigeninteresse und gegenüber ihren Zufluchtsländern der moralische Appell und die persönliche Beziehung. Taktischen Überlegungen entsprang z.B. die hohe Bewertung britischer Stimmen für Ossietzky, weil die nationalsozialistische Außenpolitik nach 1933 besondere Rücksicht auf Großbritannien nahm.

Ebenfalls aus taktischen Gründen sollte die deutsche Exilpresse, die dem "Freundeskreis" relativ leicht zugänglich war, keinesfalls die zentrale Bühne der Ossietzky-Berichterstattung sein. Artikel in den großen englischen, amerikanischen, französischen oder skandinavischen Tageszeitungen unterzubringen, war aber sehr schwierig und erforderte mühsame und oft erfolglose Kleinarbeit. Über Schmiergelder, die nach Ansicht Hilde Walters hilfreich gewesen wären, verfügte man nicht.

 Immerhin waren unter den Mitgliedern des "Freundeskreises" etliche mit Vorerfahrungen in der Organisation von Solidaritätsaktionen, Aufrufen, Protesten etc. Im 1932 gewählten Vorstand der Deutschen Liga für Menschenrechte saßen u.a. - übrigens neben Ossietzky - Lehmann-Rußbüldt, Toller, Olden und von Gerlach. Kurt Grossmann war seit 1926 Sekretär der Liga und auch Milly Zirker war dort Mitglied.

Auch hier findet man somit ein Grundmuster der Nobelpreiskampagne wieder: Einerseits fanden die Akteure einen durch die Exilsituation extrem reduzierten Handlungsspielraum vor, andererseits waren sie gerade im verbleibenden Feld der Öffentlichkeitsarbeit gut orientiert, um nicht zu sagen privilegiert.

Eine weitere Bedingung der Nobelpreiskampagne für Ossietzky lag in dessen hohem persönlichem Ansehen in den Kreisen des deutschen politischen Exils. Er galt durchweg als integrer und unabhängiger Publizist. Vielfach wurde ihm eine fast altmodische Ritterlichkeit im Umgang mit politisch Andersdenkenden bescheinigt. Besonders wichtig war auch seine Parteiferne. Die im Exil weiterhin sehr virulenten parteipolitischen Differenzen konnten so zumindest nicht direkt in die Solidaritätsarbeit für Ossietzky einfließen.

Der "Freundeskreis" bemühte sich um ein verdecktes Agieren, die Exilparteien hielten sich mehr oder weniger stark zurück, und Ossietzky wurde während der Kampagne oft zum reinen Pazifisten stilisiert: Daraus den Schluß zu ziehen, es hätte sich bei der Nobelpreiskampagne um ein unpolitisches Vorgehen gehandelt, wäre allerdings verfehlt. Dem "Freundeskreis" war klar, daß ein Erfolg der Nobelpreisaktion wenn überhaupt, dann nur auf diesem vorsichtig-indirekten Weg möglich sein konnte. Ein solcher Erfolg wiederum mußte ein eindeutiger Punktgewinn aller Anti-Hitler-Kräfte sein. Das Einzige, auf das man mit der gewählten Strategie verzichtete, war eine stärkere Wirkung auf das Exil selbst, im Sinne einer "Exil-Innenpolitik". Die Nobelpreiskampagne als gemeinsame Aktion aller Exilparteien etwa hätte sicherlich einen integrativen Effekt gehabt.

"Unser erster Sieg": In dieser Feststellung Heinrich Manns drückt sich der Anspruch der Geflohenen auf die Heimat aus. Das dort herrschende Regime ist vor der objektiven, in der Weltöffentlichkeit angesehenen Instanz Nobelkomitee blamiert worden. Ossietzky, der nur durch Gewalt daran gehindert wird, auch räumlich auf der Seite des Exils zu stehen, ist der lebendige Beweis für den Anspruch des Exils, die "eigentliche" Heimat zu repräsentieren. Daß Heinrich Mann den "ersten Sieg" reichlich optimistisch auch schon zum "Vorzeichen" des Untergangs für das Nazi-Regime erklärt, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Dilemma der Exilpolitik: Sie verfügt in der Regel über große Ansprüche, große intellektuelle Kapazitäten und große Hoffnungen - nur nicht über große Macht.

Christoph Schottes, an der Ossietzky-Gesamtausgabe als wissenschaftlicher Mitarbieter beteiligt, schrieb seine Dissersation über "Die Friedensnobelpreis-Kampagne für Carl von Ossietzky in Schweden". Sie ist im BIS-Verlag der Universität Oldenburg erschienen und kostet 14 Mark.


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