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Unternehmen als strukturpolitische Akteure

von Uwe Schneidewind

Unternehmen passen sich an marktliche, politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen nicht nur an. Sie beeinflussen diese vielmehr aktiv mit, wenn auch die herkömmliche Managementlehre davor die Augen schließt. Neuere sozialwissenschaftliche Konzeptionen helfen, die Rolle von Unternehmen als "strukturpolitische Akteure" besser zu verstehen.

The firm as an actor in social structure building - how business is influencing its environment.

Business corporations do not only adapt to market, political and societal structures. Very often they are involved in an active "co-building" of these structures. The classical business administration science does not pay attention to the phenomenon. New social science approaches help to overcome the deficit.

Ein Blick auf die heutige Managementausbildung vermittelt den Eindruck, als handle es sich bei der Betriebswirtschaftslehre um eine reine "Anpassungslehre": In sich ständig wandelnden Märkten, unter neuen politischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Trends scheinen Unternehmen jeden Tag gefordert zu sein, ihr Überleben zu sichern. Man hat den Eindruck, als brächen hier aus Markt, Politik und Gesellschaft ständig riesige Wellen auf den Surfer "Unternehmung" hinein und dieser halte sich nur durch perfekte Fahrtechnik auf seinem Brett. Die Entwicklung entsprechender "Fahrtechniken" hat dabei in den letzten knapp dreißig Jahren erhebliche Fortschritte gemacht: Hatte man Anfang der 70er Jahre noch den Optimismus, über geeignete Frühwarnsysteme Umfeldentwicklungen rechtzeitig erkennen und sich als Unternehmen darauf einstellen zu können, kapitulierte man spätestens Anfang der 80er Jahre vor der Komplexität der Unternehmensumwelt. Statt "Strategischer Planung" wurde "Strategisches Management" zum Leitbild der Managementberater und Managementschulen. Ziel war es nicht mehr, die Umwelt rechtzeitig zu erkennen, sondern durch richtungssichere strategische Entscheidungen für kommende Entwicklungen gewappnet zu sein. Die Auswahl der geeigneten Geschäftsfelder oder die Entscheidung für bestimmte Basisstrategien (Porter) sollten die Gewähr dafür bieten, wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch die Dynamik in den Märkten und der Gesellschaft blieben weiterhin hoch, so daß in den 90er Jahren nochmals eine Umorientierung stattfand: Nur durch wandlungsfähige Organisationen schien man gewährleisten zu können, daß Unternehmen noch so turbulenten Umfeldentwicklungen folgen können und sich so auf den Wellen halten. Die Entwicklungen in der Informationstechnik erleichterten diese Neuausrichtung. Die "virtuelle" oder "fluide" (Weber) Organisation wurde möglich, die standortunabhänig handelt und sich fast täglich neu konfiguriert.

Doch wer angesichts des ausdifferenzierten Anpassungsinstru-mentariums der Managementlehre davon ausgeht, daß sich Unternehmen auf diese Form des Umgangs mit ihrer Unternehmensumwelt beschränken, der muß sich beim Blick auf die Unternehmungspraxis eines besseren belehren lassen:

  • Die Einflußnahme auf Marktstrukturen durch Fusionen, strategische Allianzen oder Joint-Ventures,
  • das politische Lobbying von Unternehmen und Branchenverbänden auf nationaler und europäischer Ebene,
  • Branchenselbstverpflichtungen im nationalen und globalen Rahmen (z.B. das Responsible Care-Programm der Chemischen Industrie), die bisherige politische Prozesse ergänzen oder z.T. sogar ersetzen, oder
  • "Aufklärungs-" und Imagekampagnen zu Produkten (wie Zigaretten) oder Technologien (wie der Gentechnik oder der Atomtechnik) zur Einflußnahme auf die öffentliche Meinung sind Beispiele dafür, wie Unternehmen auf ihre marktliche, politische und gesellschaftliche Umwelt Einfluß zu nehmen suchen und sich nicht lediglich an diese anpassen. In der Managementlehre bleibt dieses Dimension des strategischen Handelns aber weitgehend ausgeblendet.

Die Mechanismen der Strukturpolitik

Die oben genannten Beispiele sensibilisieren dafür, daß sich die Surfer ihre Wellen zumindestens teilweise selbst produzieren. Vieles, was als vermeintliche "externe Rahmenbedingung" daherkommt, ist von Unternehmen und Branchenverbänden selbst mit geschaffen worden. Die Tendenz dazu wird in Zukunft noch wachsen: Globa- lisierungsprozesse und die steigende Regelungskomplexität vieler Sachverhalte wie z.B. des Umweltschutzes erschweren die Möglichkeiten nationalstaatlicher Rahmensetzung. Vor diesem Hintergrund entstehen gerade im internationalen Raum ganz neue Regelungsmuster, in denen staatliche Instanzen nur noch eine, und häufig nicht einmal mehr die entscheidende Rolle spielen. Die Versenkung der Ölplattform Brent Spar hat uns einen Eindruck dieser neuen Mechanismen vermittelt: Hier haben Umweltschutzorganisationen und boykottierende Verbraucher über die Entsorgungsart einer stillgelegten Industrieanlage entschieden und keine demokratisch legitimierten Entscheidungsinstanzen.

An diesen neuen Regelungsmustern sind immer stärker auch Unternehmen und Unternehmensverbände beteiligt:

Im Zuge der Globalisierung wird der unternehmensbezogene Regelungsbedarf zunehmend international. Die Entstehung entsprechener internationaler Institutionen läuft dem bestehenden Regelungsbedarf jedoch weit hinterher. Ohne Mitsteuerung durch Unternehmen scheint die Beherrschung vieler gesellschaftlicher Probleme (wie z.B. Umweltschutz, soziale Desintegration, Verteilungsfragen) kaum noch möglich. Viele gesellschaftliche Problembereiche sind weiterhin durch eine wachsende Komplexität gekennzeichnet. Selbst dort, wo der Staat noch regionale Regelungskompetenz besitzt, ist er inhaltlich-sachlich überfordert. Nur durch die Einbindung von Unternehmungen als Mit-Rahmensetzer (z.B. in Form von Branchenselbstverpflichtungen) scheint eine effektive und effiziente Beherrschung vieler Sachfragen überhaupt noch möglich.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen scheint es sinnvoll zu sein, genauer zu analysieren, wie das Zusammenspiel von Unternehmen und ihrer Umwelt funktioniert. Zur Beantwortung dieser Frage hilft der Blick auf aufgeklärte sozialwissenschaftliche Theorien, die den Dualismus von Subjekt und Struktur, von individuellen Handlungsmöglichkeiten und vorgegebenen systemischen Zwängen nicht leichtfertig nach einer Seite auflösen: Denn der Blick auf die Praxis zeigt, daß weder Unternehmen ihre Rahmenbedingungen beliebig selbst gestalten können, noch daß sie in ihren Handlungen durch äußere Zwänge vollständig vorherberstimmt sind und sie sich an diese nur anpassen können.

Universitätsstrukturen als Beispiel

Der englische Soziologe Anthony Giddens liefert mit seiner Strukturationstheorie einen dafür geeigneten Ansatz. Er zeigt, daß Strukturen in sozialen Zusammenhängen nichts Festes, von außen Vorgegebenes sind. Es sind vielmehr Komplexe aus Regeln und Ressourcen, die durch das Handeln von Akteuren (re)produziert werden. Giddens drückt dies mit der Idee der "Dualität von Struktur" aus. Strukturen sind demnach Ausgangspunkt und zugleich Ergebnis von Handlungen. Dies sei am Beispiel von Universitäts- "strukturen" verdeutlicht: Auch hier gibt es zahlreiche Regeln z.B. in Form von Prü- fungsordnungen, ministeriellen Erlassen, informellen Verhaltenskodizes in Gremiensitzungen und Ressourcen wie z.B. die Mittelzuweisungen von Ministerien, die Raum- und Technikausstattungen von Fachbereichen oder das Drittmittelpotential von Lehrstühlen, die in ihrem Zusammenspiel die Handlungs"strukturen" der in der Universität Tätigen und Studierenden beeinflussen, aber eben nicht determinieren. Denn diese Strukturen wirken nur dadurch, daß sie erst durch das Handeln der Akteure (re)produziert werden: Regeln existieren nur so lange, wie sie auch praktiziert werden, Ressourcen stehen jedes Jahr neu zur Disposition. Die Weiterentwicklung, Auslegung und Anpassung der oben genannten Regeln und Ressourcen ist daher auch an Universitäten an der Tagesordnung. Ein wichtiger Aspekt dabei ist: Auch wer sich gegebenen Regeln fügt und sich an sie anpaßt, betreibt "Strukturpolitik", denn er trägt zur Stabilisierung der bestehenden Strukturen bei. Jedes Handen von Akteuren hat dadurch eine strukturpolitische Dimension.

Der Bezugsrahmen der Strukturationstheorie von Anthony Giddens läßt sich auf Unternehmen übertragen. Märkte, politische Prozesse oder die öffentliche Meinungsbildung können nämlich ebenfalls als Spielarenen verstanden werden, die durch bestimmte Regeln und Ressourcen charakterisiert sind: So werden Märkte nicht nur durch den Austausch von Geld gegen einen fest definierten Produktnutzen bestimmt, sondern auch durch die Bedeutungszuweisungen, die Unternehmen z.B. über die Werbung Produkten geben. Viele Konsum- und Ge- brauchsgüterhersteller machen sich dies zunutze. Wer heute Uhren, Autos oder Zigaretten verkauft, der befriedigt nicht ausschließlich einen vorgegeben Kundennutzen, sondern schafft selbst neue Nutzen- und Bedeutungswelten. Politische Prozesse werden nicht (nur) durch die Kraft des besseren Argumentes entschieden, sondern durch handfeste Ressourcen wie Expertenwissen, finanzielle Mittel oder Fähigkeiten zur Öffentlichkeitsmobilisierung.

Auf diese Regeln und Ressourcen haben Unternehmen Einfluß. Sie sind die Basis für unternehmensbezogene Strukturpolitik, d.h. die interessensgeleitete Einflußnahme von Unternehmen auf marktliche, politische und gesellschaftliche Strukturen.

Anwendungsfelder für aktive Strukturpolitik

Wichtige Anwendungsfelder für eine Strukturpolitik von Unternehmen liegen überall dort vor, wo die Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen durch marktliche, politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen erheblich eingeschränkt scheinen. Dies ist z.B. bei der Durchsetzung vieler ökologischer Unternehmensmaßnahmen der Fall. So stoßen Unternehmen, die ein engagiertes Umweltmanagement betreiben wollen, heute auf zahlreiche strukturelle Barrieren in Markt, Politik und Öffentlichkeit: In Märkten gelingt z.B. durch die Inflation von Öko-Labeln die Vermittlung des ökologischen Zusatznutzens nicht oder aber ist die Beschaffung von ökologischen Vorprodukten nur unter hohem Aufwand möglich. In der Politik erfolgt nur eine ungenügende Internalisierung der durch umweltschädliches Verhalten entstehenden externen Effekte: Unternehmen, die sich ökologisch vorbildlich verhalten, haben dadurch betriebswirtschaftliche Nachteile gegenüber Unternehmen, die die Umwelt über ihre Produktionsprozesse oder Produkte auf Kosten der Allgemeinheit belasten können. In der Gesellschaft verhindern Trends wie die Individualisierung und Multioptionie- rung von Konsumoptionen z.T. die Umsetzung ökologisch verträglicherer Lebensstile und Wohlstandsmodelle.

Strukturpolitik heißt, diese Rahmenbedingungen nicht als gegeben hinzunehmen, sondern aktiv an ihrer Transformation mitzuwirken. Durch die Strukturationstheorie ist es möglich, Ansatzpunkte für eine solche Mitgestaltung zu identifizieren. Eine besondere Bedeutung kommt dabei z.B. im ökologischen Kontext Unternehmenskooperationen zu. Solche Kooperationen zwischen Unternehmen, aber auch zwischen Unternehmen und Umweltschutzorganisationen ermöglichen es, gemeinsame Ressourcen zu mobilisieren und Regeln zu ändern. An Kooperationen zwischen Unternehmen und Umweltschutzorganisationen sei dies verdeutlicht: Die Kooperationen zwischen Unternehmen wie Hertie oder dem Computertastaturhersteller Cherry mit dem Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) senden stärkere Glaubwürdigkeitssignale an Kunden aus als jedes Öko-Label. Der kooperative Einsatz von Unternehmen und Umweltschutzorganisationen für eine ökologische Steuerreform (wie vor der Bundestagswahl geschehen) hat ein sehr viel höheres politisches Mobilsierungspotential, als wenn diese Forderungen isoliert erhoben werden.

Neue Legitimationserfordernisse

Die weitere Ausbreitung von unternehmerischer Strukturpolitik, die gar nicht zu vermeiden ist, wirft auch viele Legiti- mationsfragen auf: Nach welchen Regeln soll die Mitgestaltung von Rahmenbedingungen geschehen, wenn wir uns von der Fiktion lösen, daß diese nicht mehr exklusiv durch demokratisch legitimierte Instanzen wie Parlamente erfolgt? Hier stellen sich erhebliche Herausforderungen für die Ausgestaltung der Institutionen, mit denen wir in Zukunft gesellschaftliche Probleme lösen. Es lassen sich dabei einige Grundregeln für eine verantwortungsvolle Strukturpolitik von Unternehmen definieren:

  • Jedes strukturpolitische Handeln muß so weit wie möglich transparent erfolgen. Es bedarf des bewußten Umgangs mit den Nebenfolgen unternehmerischen Handelns.
  • Verantwortungsvolle Strukturpolitik ist auf gesellschaftliche Macht- und Ressour- cengleichgewichte zwischen den betroffenen Akteuren angewiesen. Dies kann dadurch erfolgen, daß Anwohner oder Um- weltschutzorgansiatiionen stärker in die Entscheidungsprozesse von Unternehmen einbezogen werden. Hier gibt es z.B. aus den USA interessante Beispiele zu lokalen Anwohnerbeiräten von Chemieunternehmen. Ähnliche Mechanismen sind aber auch auf überregionaler Ebene denkbar.
  • Ausblick: Unternehmerische Strukturpolitik

    Ob es in Zukunft in Unternehmen gelingt, eine aufgeklärteStruk-turpolitik zu betreiben und ihre (struktur)politische Rolle verantwortungsvoll zu übernehmen, hängt letztlich von denjenigen ab, die wir heute an den betriebswirtschaftlichen Fakultäten und Managementschulen ausbilden. Doch hier ist das "strukturpolitische Defizit" besonders groß. Dem an betriebswirtschaftlichen und Management-Fakultäten ausgebildeten Führungsnachwuchs wird in der Regel ein "Werkzeugkasten" an Techniken und Managementkonzepten vermittelt, der die Absolventen in die Lage versetzen soll, Unternehmungen in immer turbulenteren und komplexeren Umwelten auf einem profitablen Kurs zu halten. Wie das Handeln der Unternehmungen selbst auf die die Umwelt zurückwirkt, wird in der Regel nur so weit vermittelt, wie es unmittelbar erfolgsrelevant ist. Es ist daher nicht verwunderlich, daß sich heute ein Großteil des Mana- gementnachwuchses als eine Art Tech- nokratenelite versteht, die sich über ihr Handwerkszeug definiert und für die es kaum einen Unterschied macht, ob man die eigenen Fähigkeiten für die Vermarktung von Hundefutter, Luxuslimosinen, Buchclubs oder im Gesundheitsmanagement einsetzt, solange sich die Tätigkeit im legalen Rahmen bewegt und sie entsprechende Karriereoptionen verspricht.

    Die Auseinandersetzung mit der struktur-politischen Dimension unternehmerischen Handelns muß daher fester Bestandteil in Fächern wie der allgemeinen Führungs- und Organisationslehre, dem Marketing sowie den institutionellen Betriebswirtschaftslehren werden und darf sich nicht nur auf Einzelveranstaltungen zur Wirtschaftsethik beschränken. Nur so wird die Sensibilisierung für die politischen und gesellschaftlichen Rückwirkungen unternehmerischen Handelns zu erreichen sein.

    Der Autor

    Prof. Dr. Uwe Schneidewind (32) lehrt seit 1997 die Fächer Produktions- wirtschaft und Betriebliche Umweltpolitik am Fachbereich Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Köln war er ein Jahr in der strategischen Umweltmanagementberatung tätig. Promotion und Habilitation (1997) erfolgten an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsgebiete sind die Rolle von Unternehmen in Politik und Gesellschaft sowie Fragen des strategischen Umweltmanagements insbesondere in der Chemie-, Textil- und Informationstechnikindustrie.

    (Stand: 19.01.2024)  | 
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