"Secession" und Abraham Lincoln
Mit dem Sieg der Republikaner und Abraham Lincoln
als Präsidenten
der "Vereinigten Staaten von Amerika" zerbrach die Union. Vielen
Südstaatlern
war schon die bloße Existenz dieser "Negerrepublikaner" Affront und
allein die Wahl dieses "verbissenen, ordinären Freischärlers"
aus der Blockhütte im südlichen Indiana Grund genug, sich von
den "Vereinigten Staaten" zu trennen. Die Fronten waren seit "Harper's
Ferry" verhärtet. Zur Wahl gestellt hatten sich 4 Kandidaten. Die
neue "Constitution Union Party" beschwor die Einheit der Nation und
umging
die Streitpunkte Sklaverei und Sezession; ihr Kandidat John Bell errang
die Staaten Virginia, Kentucky und Tennessee. Die "Demokraten"
spalteten
sich. Die der Nordstaaten plädierten in der Sklavenfrage für
die Souveränität der Einzelstaaten und einiger Territorien und
gegen die Sezession, weil sie verfassungswidrig sei. Ihr Kandidat
Stephen
Douglas gewann einen Teil von New Jersey und den Sklavenstaat Missouri.
Die "Demokraten" der Südstaaten vertraten darüber hinaus in allen
Territorien Sklavenbesitz als Individualrecht, das in freien Staaten
erhalten
bleibe, auch wenn es dort nicht beansprucht und praktiziert werden
dürfe.
"Freie" Behörden müßten Amtshilfe leisten, falls es gelte,
entlaufene Sklaven einzufan-gen. Sezession war für sie ein
verfassungskonformer
Anspruch der Einzelstaaten. Ihr Kandidat John Breckinridge gewann
Delaware
und Maryland und den "unteren" Süden. Die "Republikaner" waren gegen
jegliche Ausweitung der Sklaverei über die bestehenden Sklaven-staaten
hinaus. Sezession war für sie Landesverrat. Abraham Lincoln gewann
alle sklavenfreien Staaten einschließlich Kalifornien und Oregon.
Er bekam nur 39,8 % der abgegebenen Stimmen, aber 180
Wahlmännerstimmen,
Stephen Douglas 29,5 % (12 Wahlmänner) und John Breckinridge 18,1
% (72 Wahlmänner). Bell und Douglas, die den Kompromiß mit dem
Süden gesucht hatten, überrundeten zusammen mit 42,1 % der abgegebenen
Stimmen Lincoln um 2,3 %, brachten es aber nur auf 51
Wahlmännerstimmen.
Lincoln führte seinen Wahlkampf gegen Douglas; er war in den
Sklavenstaaten
erst gar nicht angetreten. John Breckinridge war aber sein
entscheidender
Gegner.
Der neue Präsident der USA hatte am Tage seines Amtsantritts
(4.
März 1861) noch einmal versichert, er "habe nicht die Absicht, (sich)
direkt oder indirekt an der Institution der Sklaverei in den Staaten,
wo
sie existiert, zu vergreifen". Schon 1858 hatte er gesagt, Sklaverei
sei
ein "moralisches, soziales, politisches Unrecht", ihre Aufhebung ein
langer
"endgültiger zielgerichteter Entwicklungsprozeß". Von den Gründervätern
sei sie 1787 deswegen in den Territorien verboten worden. Sie werde
"für
alle Zeiten aussterben", wenn man "nur zur Politik der Väter
zurückkehre".
Man brauche eine Politik, die Sklaverei nicht weiter zunehmen lasse,
die
so "ihr friedliches Ende, irgendwann", nicht aus den Augen verliere und
sich abolitionistischer Ungeduld enthalte. Er glaube nicht an die
soziale
und politische Gleichstellung des Schwarzen, der "physischen
Unterschiede"
wegen. Er sei gegen das Wahlrecht für Schwarze. Er wolle sie nicht
als Amtsträger und nicht als Geschworene und Vereidigte. Und er wolle
keine Mischehen. Der Schwarze müsse aber das "Recht (haben), das Brot,
das er mit seiner Hände Arbeit verdient, zu essen, ohne irgend jemanden
um Erlaubnis zu fragen". Die Republikaner präsentierten sich im
"unteren"
Norden als Partei der Weißen und der Eingrenzung der Sklaverei, wenn
möglich, auch der Schwarzen, im "oberen" Norden aber auch mit
abolitionistischen
Argumenten sozialer und politischer Gleichberechtigung der Schwarzen.
Der Vizepräsident der "Konföderierten Staaten" verwies auf
die Gründerväter als Sklavenhalter und sprach von einer "großen
physischen, philosophischen und moralischen Wahrheit, daß der Neger
dem Weißen nicht ebenbürtig, ... die Sklaverei ... eine natürliche
und normale Lebensform ... , Freiheit nicht ohne Sklaverei möglich
(sei)". Die weiße Rasse sei die "einzig wahre Aristokratie". Präsident
Jefferson Davis nannte den Norden "revolutionär", weil er
"Sklaveneigentum
so unsicher (machen wollte), daß es vergleichsweise wertlos geworden
wäre". In den Augen der Republikaner sei "ein Nigger was Besseres
als ein Ire", höhnten Demokraten. Der demokratische "New York Herald"
schrieb am 5./6. November 1860 zur Wahl Abraham Lincolns: "Die
Vereinigung
mit den Afrikanern wird bald das Schicksal der schönen Töchter
der angelsächsischen, keltischen und teutonischen Rassen im Paradies
republikanischer Herrschaft sein". "Old Abe" sei Präsident geworden,
weil der Süden dem Norden Baumwolle und Zucker, Reis und Tabak zu
liefern, für ihn Steuern zu zahlen und zu kämpfen habe. Er wolle
"die Territorien dem Norden vorbehalten, um dort die fetten Deutschen
und
die freien Nigger loszuwerden", erregte sich ein Südstaatler in
Illinois.
Gleichberechtigung zu verweigern war nicht ungewöhnlich.
Abolitionismus
und Gleichberechtigung der Frau z. B. waren zunächst vergleichbare
Forderungen gleicher oder verwandter Gruppen, die belächelt
oder diffamiert wurden. Auch weiße Frauen waren um 1860 noch weitgehend
"bürgerrechtlich tot". Sie besaßen weder das aktive noch das
passive Wahlrecht, konnten weder Anwältinnen noch Richterinnen oder
Geschworene werden, durften als Verheiratete weder über Eigentum
verfügen
noch klagen, verdienten in den wenigen ihnen zugänglichen Berufen
nur halb soviel wie Männer und waren von Hochschulen und Universitäten
ausgeschlossen. All dies wurde abgesichert durch den Verweis auf
"physische
Unterschiede" und auf die gottgewollte soziale Rolle in der
Gesellschaft.
Abigail Adams schrieb ihrem Ehemann John Adams (1735-1826), Mitautor
der
Unabhängigkeitserklärung (4. Juli 1776), im April 1776, er möge
doch dafür sorgen, daß die Tyrannei der Ehemänner nicht
festgeschrieben werde, "die uns nur als Vasallen eures Geschlechts
sieht".
Der Gatte antwortete, unbewußt prophetisch, darüber könne
er nur lachen: dem amerikanischen Freiheitskampf werde nicht nur der
Ungehorsam
der Kinder, die Unruhe an Schulen und Hochschulen, das Selbstbewußtsein
der Indianer und die Renitenz der Schwarzen angelastet. Jetzt sei eine
weitere Spezies unzufrieden und die sei "zahlreicher und mächtiger
als alle übrigen". 1848 formulierten Frauen "ihre"
Unabhängigkeitserklärung
nach dem Muster der amerikanischen von 1776: "Folgende Wahrheiten
erachten
wir als selbstverständlich: daß alle Männer und Frauen
gleich geschaffen sind ..." Ins Original hatte man "men" geschrieben
...
Seit der Wahl von 1856 (vgl. Anm. 97) hatten sich die Fronten
verschoben.
Was dem Demokraten James Buchanan noch zum Erfolg im Süden verholfen
hatte, das Programm der Nichteinmischung in die Sklavenpolitik der
Einzelstaaten
und einiger Territorien, führte 1860 zur Spaltung der Partei. John
Breckinridge wußte jetzt das Oberste Gericht auf seiner Seite. Abraham
Lincoln hatte erstmals als republikanischer Kandidat für das Amt des
Präsidenten die Sklaverei disqualifiziert und seiner Partei deren
letztendliche Abschaffung zum Ziel gesetzt. Die Erfolge des Südens
im Kongreß (1850, 1854), das Votum des Obersten Gerichts (1857) und
noch immer nicht abgeschriebene Kuba-, Mexiko- und Mittelamerika-Pläne
in den Südstaaten hatten Lincoln in seiner Politik bestärkt.
Kompromißvorschläge (Dezember 1860 - März 1861) verlangten
vor allem Zugeständnisse von den Republikanern. Der Norden und der
Süden akzeptierten nicht einmal mehr die Rückkehr zum
Missouri-Kompromiß
von 1820/21 (vgl. Anm. 98).
Verfassungsrechtlich war die Sezession umstritten.
Südstaatler
verwiesen auf die bestehende Souveränität der Einzelstaaten trotz
des Verzichts auf einige Staatenrechte und auf das auch in der
Unabhängigkeitserklärung
beanspruchte Revolutionsrecht gegen Tyrannei (1776), Nordstaatler, auf
den ewig unkündbaren Unionsbeschluß von 1777/1781 ("Perpetual
Union") und auf die Verfassung von 1787, die Souveränität begründende
Staatsrechte der Union vorbehalten und Konföderations-, Bündnis-
und Kriegspolitik den Einzelstaaten untersagt habe (Artikel I,
Abschnitt
10). Abraham Lincoln sagte in seiner ersten Rede als Präsident der
Vereinigten Staaten am 4. März 1861: "Kein Staat kann aus bloßem
eigenen Antrieb die Union verlassen."
Er hatte schon am 16. Juni 1858 öffentlich den Konflikt, wenn
auch nicht eine gewaltsame Lösung, für unausweichlich erklärt:
"'Wenn ein Haus mit sich uneins wird, kann es nicht bestehen'. Ich
glaube
nicht, daß die Union sich auflöst - das heißt ich glaube
nicht, daß das Haus einstürzen wird - aber ich bin der Überzeugung,
daß es aufhören wird, ein geteiltes Haus zu sein. Es wird der
einen oder der anderen Seite ganz und vollständig gehören."
Abraham Lincoln (1809-1865) wurde im Blockhaus eines aus
Virginia stammenden
kleinen Farmers in Kentucky geboren, der 1816 nach Indiana zog und sich
1830 auf der Prärie in Illinois niederließ. Bis dahin, also
bis zu seinem 21. Lebensjahr, hatte er auf der Farm seiner Eltern
gearbeitet
und dabei insgesamt nicht länger als ein Jahr die Schule besucht.
Ein wenig Rechnen und Schreiben hatte er gelernt, das Lesen vor allem
anhand
der Fabeln des Aesop, der Abenteuer des Robinson Crusoe, einer
Washington-Biographie,
einer Geschichte der USA, der Gesetze von Indiana und der Bibel. Danach
scheiterte er als Verkäufer und Ladenbesitzer, brachte es aber durch
Selbststudium zum Landvermesser und Anwalt, in den 50er Jahren mit
großem
Erfolg vor höheren Gerichten. Von 1834-1842 war er als Whig (vgl.
Anm. 75) Mitglied des Parlaments von Illinois, von 1847-1849 des
Repräsentantenhauses
in Washington. Seine scharfe Ablehnung des
Kansas-Nebraska-Gesetzes
(vgl. das Stichwort "Sklaverei und Territorien") trieb ihn 1854 zurück
in die Politik. 1858 verlor er die Gouverneurswahlen in Illinois für
die Republikaner (vgl. Anm. 97): 1860 wurde er zum Präsidenten gewählt.
(Nachweise: Anm. 118)