Grant, Ulysses S. und der Bürgerkrieg 1863-1864
 

Nach der Niederlage bei Chickamauga (vgl. Anm. 142) war es dem Norden gelungen, den Belagerungsring des Südens um Chattanooga zu durchbrechen (23.-25. November 1863), wohin sich die geschlagenen Truppenteile des Nordens zurückgezogen hatten. General Ulysses S. Grant (1822-1885) hatte die Operation geleitet, die zur Besetzung von ganz Tennessee führte (29. Dezember 1863).
Ulysses S. Grant war der Sohn eines Gerbers und Farmers aus Ohio. Er hatte die Militärakademie West Point mit durchschnittlichem Erfolg abgeschlossen (1843). Im Krieg gegen Mexiko wurde er lobend erwähnt. 1854 verließ er die Armee. Er mag der Entlassung wegen Alkoholismus zuvorgekommen sein. Er versuchte sich erfolglos als Farmer und Händler. 1860 kehrte er nach Ohio zurück und wurde Verkäufer im Lederwaren-Geschäft seines Bruders. Im Juni 1861 ging er als Freiwilliger zur Armee ("Ich halte mich für kompetent genug, ein Regiment zu befehligen."), wurde Oberst, im September Brigade-General. Seine ersten größeren militärischen Aktionen in Tennessee (Februar 1862) machten ihn sofort berühmt; ohne größere Verluste auf beiden Seiten erzwang er die Kapitulation der Forts Henry und Donelson: "Nur die bedingungslose und sofortige Kapitulation kann akzepiert werden". Die Konföderierten verloren einen Teil von Tennessee und den Zugang zum nordstaatlichen Sklavenstaat Kentucky. Es war der erste bedeutende Sieg der Union. Bei Shiloh verlor Grant im April 1862 ein Gefecht, nicht aber die Schlacht (vgl. Anm. 130). Präsident Lincoln verweigerte seine Entlassung: "Ich kann diesen Mann nicht entbehren: er kämpft." Im Juli 1863 öffnete er nach langer Belagerung mit der Eroberung von Vicksburg den Mississippi für den Norden (vgl. Anm. 142). Im Oktober ernannte Abraham Lincoln ihn zum Befehlshaber der West-Armee, am 12. März 1864 zum General-Leutnant und Oberbefehlshaber aller Nordstaaten-Armeen ("General of the Army") und zum Kommandeur der östlichen Truppenteile.
Der Süden hatte den Mississippi und den Staat Tennessee verloren. Der Norden mußte Besatzungstruppen abstellen und Nachschubwege sichern. 100.000 Mann gingen nach dreijähriger Dienstzeit nach Hause, 135.000 hatten sich erneut kurzzeitig verpflichtet, angelockt durch Prämien, 30 Tage Heimaturlaub und einen Winkel am Arm. Ersatzleute, Prämiensoldaten und einige Wehrpflichtige aus der Musterung von 1863 sollten die Armeen auffrischen. Nur wenige davon hielt Ulysses S. Grant für brauchbar. Bis zu 10% desertierten, was manche Offiziere nicht ungern sahen. Der Süden hoffte, den Krieg bis zu den Präsidentschaftswahlen verlustreich für den Norden hinziehen, den "Friedensdemokraten" ("Copperheads", vgl. Anm. 133) gegen Abraham Lincoln eine Chance geben und einen für die Konföderation erträglichen Verhandlungsfrieden erreichen zu können. "Habe vor, es an dieser Front auszufechten, und wenn es den ganzen Sommer dauert", telegraphierte aber Ulysses S. Grant nach Washington, nachdem er am 3. Mai 1864 in Virginia den Rapidan River mit 114.000 Soldaten überschritten hatte. Er wollte Richmond, die Hauptstadt der Konföderation, einnehmen. 64.000 Südstaatler unter General Robert E. Lee (1807-1870) standen ihm gegenüber. Ob dieser nun in einem Zermürbungskrieg Zuflucht gesucht oder Ulysses S. Grant ihn gewollt hat: die neue Strategie ununterbrochenen Kämpfens brachte in 4 Wochen dem Süden 30 000, dem Norden 50 000 Tote, Vermißte und Verwundete. Die Schlachten am 5.-7. Mai (Wilderness) und am 8.-18. Mai (Spotsylvania) gingen unentschieden aus. Bei Cold Harbor (1.-3. Juni) wurden die Angriffe des Nordens blutig abgewiesen: Ulysses S. Grant verlor allein hier 12 000 Mann (der Süden 1 500). Noch am Abend des 3. Juni bedauerte er dieses erfolglose Anrennen gegen die Stellungen der Konföderierten "mehr als jeden anderen Angriff, den (er) befohlen habe" (vgl. die Abb. auf S. 97). Ein General des Südens sagte: "Dies ist kein Krieg mehr; es ist Mord." Es kam zu keinem kurzzeitigen Waffenstillstand, um die Verwundeten auf dem Schlachtfeld zu bergen. Ulysses S. Grant gelang es nicht, "es" diesen Sommer "auszufechten", wohl aber, Robert E. Lee in die Defensive zu drängen und bis April 1865 in den Befestigungsanlagen vor Petersburg und Richmond festzuhalten.
General William Tecumseh Sherman hatte seinen Marsch auf Atlanta/Georgia am 5. Mai 1864 von Chattanooga/Tennessee aus (mit 100.000 Mann gegen 62.000) begonnen, die Konföderierten zurückgedrängt, am 27. Juni bei Kennesaw Mountain 2000 (gegen 440) Mann verloren und erst am 22. Juli die Belagerung von Atlanta begonnen, bevor er die Stadt am 2. September 1864 einnehmen konnte (vgl. Anm. 167). Schon am 15. Mai 1864 war der Versuch des Nordens gescheitert, das Shenandoah-Tal, Einfallstor nach Maryland und zur Hauptstadt Washington und eine der Kornkammern des Südens, zu erobern: der (deutsche) General Franz Sigel (1824-1902) wurde am 15. Mai 1864 mit 65.000 Mann von 5000 Südstaatlern zum Rückzug gezwungen und von Abraham Lincoln auf Grants Vorschlag abberufen; Sigel laufe "immer nur weg, er hat noch nie etwas anderes getan". Am 15. Juli standen 15.000 "Rebellen" 8 km vorm Weißen Haus an den Befestigungsanlagen vor Washington, zogen sich aber plündernd und brandschatzend aus Maryland und Pennsylvania zurück. Dort legten sie noch am 30. Juli 1864 die Stadt Chambersburg in Schutt und Asche, weil deren Bürger nicht bereit waren, 500.000 Dollar als Entschädigung für Plünderungen der Yankees in Virginia zu zahlen.
Bis Juli/August 1864 war es dem Norden nicht gelungen, Richmond und Atlanta zu nehmen und das Shenandoah-Tal zu besetzen. Der Süden war seinem Ziel nahe, bei den Präsidentschaftswahlen des Nordens (8. November 1864) den "Friedensdemokraten", die einen Verständigungsfrieden wollten (vgl. Anm. 133), zum Sieg zu verhelfen. Die Londoner Times schrieb: "Die Konföderation ist kraftvoller denn je", und eine Zeitung der Demokraten: "Lincoln ist toter als tot". - Am 18. Juli rief er 500 000 Mann zu den Waffen (vgl. Anm. 144). (Nachweise: Anm. 159)