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Vom Hörgerät zur Gesundheitszentrale am Ohr

Universität Oldenburg leitet neues Graduiertenkolleg zur Weiterentwicklung von Hörgeräten.

Universität Oldenburg leitet neues Graduiertenkolleg zur Weiterentwicklung von Hörgeräten.

Oldenburg. Hörgeräte verbessern das Hörvermögen – aber in den kleinen Apparaten steckt viel mehr: Als Gesundheitszentrale am Ohr könnten sie zukünftig vielfältige Aufgaben übernehmen. Konkrete Ansätze verfolgen in den kommenden fünf Jahren Forschende der Universitäten Oldenburg und Bremen. Gemeinsam wollen sie Hörgeräte mit zusätzlichen Funktionen ausstatten, die rechtzeitig vor einer Sturzgefahr warnen, kognitive Veränderungen erkennen oder den Verlauf einer Parkinson-Erkrankung dokumentieren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert mit rund 6,5 Millionen Euro das Graduierten­kolleg HEARAZ (Hearable-zentrierte Assistenz: Vom Sensor zur Teilhabe), das beide Universitäten gemeinsam beantragt haben. Die zwölf erfahrenen Wissenschaftler*innen beider Universitäten werden in der ersten Förderphase 15 Forschenden die Möglichkeit zur Promotion geben. Dazu kombinieren sie ihre Kompetenzen und Labore: Oldenburg verfügt über langjährige Erfahrungen in der Hörgeräteforschung und die Expertise aus den beteiligten medizinischen Fachdisziplinen Geriatrie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Neurologie. Bremen liefert die Expertise der Biosignal- und Sprach­verarbeitung sowie pflegewissen­schaft­liche Kompetenzen.

„Das Graduiertenkolleg HEARAZ profitiert von der langjährigen exzellenten Hörforschung an der Universität Oldenburg unter anderem im Exzellenzcluster Hearing4all und erweitert diesen Forschungskomplex um eine völlig neue Perspektive. Junge Forschende haben die Chance, in einem sehr spannenden Feld tätig zu werden, dessen Ergebnisse unmittelbar dazu dienen können, Menschen in ihrem Alltag zu unterstützen“, sagt Prof. Dr. Ralph Bruder, Präsident der Universität Oldenburg.

HEARAZ bringt Forschende unterschiedlicher Fachrichtungen zusammen, darunter Promovierende aus der Informatik, Physik, Medizin und Pflegewissenschaft, den Neurowissenschaften, Versorgungswissenschaften sowie Geistes- und Sozialwissen­schaften. „Ziel des Graduiertenkollegs ist es, individualisierte Assistenzfunktionen zu entwickeln, die es insbesondere älteren Menschen ermöglichen, länger und selbstbestimmt am ganz normalen Alltag teilzunehmen“, erklärt Prof. Dr. Andreas Hein, Hochschullehrer für Automatisierungs- und Messtechnik an der Universität Oldenburg und Sprecher des neuen Graduiertenkollegs.

Im Fokus stehen unterschiedliche Ansätze, Hörgeräte zu sogenannten Hearables weiterzuentwickeln, die Trägerinnen und Träger als Gesundheitsassistenten durch den Alltag begleiten. Das Ohr ist gut geeignet, um dort mittels Sensoren verschiedene Gesundheitsdaten zu erheben. Am Ohr aufgezeichnete Gehirnströme können Auskunft über die Aufmerksamkeit geben. Blutdruck und Puls lassen sich ebenso messen, wie die Bewegungen einer Person. Die Mikrofone eines Hearables können neben Sprechweisen und Körper­geräuschen auch Umgebungs­geräusche registrieren.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von HEARAZ erforschen unterschiedliche Möglichkeiten, Daten wie diese zueinander in Beziehung zu setzen und – teils mit Künstlicher Intelligenz – so auszuwerten, dass sie einen Mehrwert für Nutzende haben. In einem Teilprojekt geht es beispielsweise darum, die Bewegungen der Kaumuskeln zu erfassen und frühzeitig zu warnen, falls Speichel oder Nahrung in die Luftröhre geraten sind. Eine solche Aspiration bleibt bei älteren Menschen manchmal unbemerkt und kann gesundheitliche Folgen haben. Ein weiteres Beispiel ist die kontinuierliche Messung individueller Gangparameter, Belastungszustände und Umgebungsfaktoren, aus denen sich ein erhöhtes Sturzrisiko voraussagen lässt. Ebenso wollen die Forschenden Sprachmerkmale der Hörgeräte-Tragenden auswerten, denn kognitive Veränderungen, wie sie bei Demenzen auftreten, haben einen Einfluss auf die Sprechweise. Auch Personen mit Parkinson könnten von der Gesundheits­zentrale am Ohr profitieren, wenn das Gerät die Symptome der Krankheit rund um die Uhr dokumentiert.

Neben den medizinischen und technischen Faktoren untersucht das Forschungsteam auch die sozialen und ethischen Fragen, die mit einer Gesundheitszentrale am Ohr einhergehen. Ein Beispiel ist die Sprachanalyse, bei der die Privatsphäre der Tragenden sowie von Pflegenden und Angehörigen berücksichtigt werden muss. Insbesondere für diese Fragen ist die enge Einbindung von betroffenen und beteiligten Personen relevant, also etwa Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen. Das Graduiertenkolleg wird deshalb von Anfang an von einem Beirat begleitet, der aus Vertreterinnen und Vertretern der beteiligten Personengruppen besteht und auch die Forschungsfragen und -ansätze mitgestalten kann.

Kontakt

HEARAZ: Prof. Dr. Andreas Hein, Tel.: 0441/798-4450, E-Mail:

CAUSE: Prof. Dr. Martin Fränzle, Tel.: 0441/9722-500, E-Mail:

(Stand: 29.05.2024)  | 
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